Draußen vor der Tür

Meinung · Nach einem Befreiungsschlag möchte man sich erleichterter fühlen, als dies am Morgen nach der nächtlichen Euro-Gipfelrunde der Fall war. Der Grund für die Ernüchterung liegt nicht in der finanztechnisch verzwickten Materie

Nach einem Befreiungsschlag möchte man sich erleichterter fühlen, als dies am Morgen nach der nächtlichen Euro-Gipfelrunde der Fall war. Der Grund für die Ernüchterung liegt nicht in der finanztechnisch verzwickten Materie. Sondern darin, dass die Bürger in den vergangenen Monaten schon viel zu oft miterleben mussten, wie man sich nach solchen Treffen gegenseitig auf die Schulter klopfte - und dann das Ausarbeiten vergaß. Am Ende verpuffte, was eben noch als Rettung Europas gefeiert wurde. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.Die Beschlüsse des Krisen-Gipfels wimmeln von Platzhaltern und Hinweisen auf Details, die erst noch erarbeitet werden müssen. Bislang ist das kein Vorwurf. Aber es wird einer, wenn sich die Kommission, die Finanzminister und auch das Europäische Parlament nicht umgehend daran machen, aus Perspektiven bindende Gesetze zu formulieren. Erst dann kann sich zeigen, was der Schuldenschnitt wirklich bewirkt, ob die Banken mitziehen und ob der Hebel der Verschuldungs-Spirale entgegenwirken kann. Bis dahin gebieten Vorsicht und bittere Erfahrung, mit dem Prädikat "historisch" zurückhaltend umzugehen.

Richtig ist allerdings, dass sich Europa in einer der wichtigsten Umbruchphasen seiner Geschichte befindet. Zwischen den Staaten mit und jenen ohne Gemeinschaftswährung klafft ein Graben, der immer breiter wird. Der vielzitierte Krach vom Sonntag, als sich der britische Premier David Cameron über die Auswirkungen der Euro-Probleme auf seine Wirtschaft beschwerte und von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy rüde abgebügelt wurde, zeigt die aufgeladene Stimmung. Trotzdem schickten die Mitglieder des Euro-Kerns auch am Mittwoch die übrigen zehn EU-Chefs früh nach Hause. Dass diese überhaupt dabei sein durften, verdanken sie einem Aufstand, den schließlich vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag behutsam ausbremste - mit dem Vorschlag des zweiten Doppel-Gipfels.

Das Bild der Europäischen Union hat Risse bekommen: Der Euro-Club fällt Entscheidungen, die auch alle anderen betreffen, obwohl sie nicht mitreden dürfen. Schon ist die Rede von einem stillen Trend zu einem Kern-Europa unter deutscher Führung, das letztlich alle ökonomisch bedeutsamen Richtungsentscheidungen unter sich ausmacht. Das mag aus deutscher Sicht sogar erfreulich sein, weil man sich von manchen Mitgliedstaaten tatsächlich wünschen würde, dass sie sich stärker an unserem Vorbild orientieren. Für die Gemeinschaft aber birgt diese Entwicklung wachsende Probleme. In den vergangenen Tagen wurde oft die Existenzfrage Europas aufgeworfen. Sie ist - bei allem Respekt für die Ergebnisse dieses Gipfels - unbeantwortet geblieben.

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