Diktator Erdogan

Wie soll in der Türkei je wieder ein freiheitlicher Rechtsstaat entstehen? Erdogan und seine fanatisierten Anhänger werden ihre Macht nie mehr freiwillig abgeben. Sie werden nie wieder kritische Medien mit nennenswerter Reichweite zulassen. Sie werden nie wieder Oppositionsparteien auch nur in die Nähe der Macht kommen lassen. Unter der Chiffre "Gülen-Bewegung" kann man jeden verdächtigen. Und selbst wenn der Potentat, den man nun endgültig Diktator nennen muss, irgendwann abtritt, wird eine Systemkorrektur nicht ohne Blutvergießen gelingen. Zu viel Gewalt wurde in Reden, Denken und Handeln geweckt; zu viel Gewalt wird in den nächsten Monaten ausgeübt werden.

Erdogan hat Demokratie immer als rücksichtsloses Durchsetzen eigener Interessen mit Volksunterstützung verstanden. Aber Demokratie braucht Grundrechte, Gewaltenteilung und Minderheitenschutz, und zwar als unverrückbare Prinzipien. Gerade in einer Staatskrise. Dass Putschisten verfolgt werden, widerspricht dem nicht. Nur: In einem Rechtsstaat muss auch jeder Putschist einen unabhängigen Richter bekommen. Und jeder, der aus dem Justiz- oder Schuldienst entlassen wird, muss dagegen klagen können. Was aber, wenn es keine unabhängigen Richter mehr gibt?

Große Besorgnis über die Entwicklung hört man bei der Kanzlerin und dem deutschen Außenminister, viele Mahnungen zur Verhältnismäßigkeit. Das kleine Österreich hingegen bestellt den türkischen Botschafter ein. Es ist nur ein hilfloses Symbol, aber immerhin ein Symbol für: Wir akzeptieren eure Rechtstaatsverletzungen nicht. Und wir akzeptieren erst recht nicht, wenn ihr euren Konflikt nun auch auf unseren Straßen austragt. Auch in Deutschland sollte man endlich konsequent all jene belangen, die türkische Oppositionelle bedrohen, im Internet oder mit direkter körperlicher Gewalt. Radikale AKP-Anhänger sind nicht nur Feinde der eigenen türkischen Verfassung, sondern auch des Grundgesetzes.

Man stehe am Scheideweg, heißt es in kritischen Situationen gern. In Bezug auf die Türkei wäre das viel zu positiv formuliert. Erdogan hat den Putschversuch für seinen ganz persönlichen Staatsstreich genutzt. Und damit seine Entscheidung gegen Europa gefällt. Man kann mit einem Diktator zwar noch einige Geschäfte machen; so etwas ist manchmal nötig. Aber es kann keine Nähe geben. Je eher man die Beitrittsverhandlungen stoppt und ebenso die angedachte Visafreiheit, umso besser für alle. Dann macht sich wenigstens niemand Illusionen. Auf eine neue Flüchtlingswelle muss Europa sich ohnehin vorbereiten - es werden nun auch viele politisch verfolgte Türken kommen. Jedenfalls wird aus der Idee der CSU , die Türkei zum sicheren Herkunftsland zu ernennen, wohl längere Zeit nichts werden.

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