Dies entsetzliche Gefühl des Ausgeliefertseins

Saarbrücken. Es ist ein mutiges Buch, das Thomas Hettche geschrieben hat. Zwar betont er immer wieder, sein Ich-Erzähler Peter sei keinesfalls gleichzusetzen mit ihm selbst. Andererseits aber nennt er "Die Liebe der Väter" sein "persönlichstes Buch" und spricht von einem "befreienden Abschluss einer langen Entwicklung"

Saarbrücken. Es ist ein mutiges Buch, das Thomas Hettche geschrieben hat. Zwar betont er immer wieder, sein Ich-Erzähler Peter sei keinesfalls gleichzusetzen mit ihm selbst. Andererseits aber nennt er "Die Liebe der Väter" sein "persönlichstes Buch" und spricht von einem "befreienden Abschluss einer langen Entwicklung". Mehr möchte er zum persönlichen Hintergrund nicht sagen. Sicher ist eins: Auch Thomas Hettche hat eine Tochter, aber kein Sorgerecht für sie. Wie der Protagonist seines Romans. Mit Annika (13) macht sich der Verlagsvertreter Peter auf zum Silvesterurlaub nach Sylt. Seit er sich von Mutter Ines vor zehn Jahren getrennt hat, sieht er sein Kind nur noch selten. Jedes Mal gilt es das Vertrauen der Tochter neu zu gewinnen. Jedes Mal fühlt er sich irgendwie schuldig. Auch auf Sylt spürt Peter die Entfremdung Annika gegenüber. Diesem "Kind, das doch keins mehr ist", das sich die Nägel lackiert und eines dieser so "seltsam alten" Gesichter heutiger Teenager hat. Die Zeit in Sylt verbringt sie lieber mit den Nachbarzwillingen oder mit ihrem neuen Freund. Ihr Vater muss sich mit den zwei befreundeten Familien begnügen, mit denen sie sich das Ferienhaus teilen. Ein Wintersturm wird angekündigt. Auf der Silvesterfeier entlädt sich das Gewitter dann. Als Peter hört, seine Tochter soll aus einer Laune der Mutter heraus erneut die Schule wechseln, ohne dass er mitbestimmen kann, bricht in ihm die ganze Wut auf Ines los, die damals "nicht nur gegen den Willen des Vaters, sondern gegen alle Vernunft" das gemeinsame Kind bekommen hat. Zu einer Zeit, in der die beiden lange schon nichts mehr verbunden hat. Peter gibt Annika eine Ohrfeige. Thomas Hettche hat einen psychologisch fein motivierten Roman über die Ohnmacht der Väter geschrieben, denen von der Exfrau nicht nur das Sorgerecht, sondern auch der Einfluss auf das gemeinsame Kind genommen wird. Er macht die Ausgrenzung der Väter sichtbar, die laut Gesetz bis vor kurzem völlig der Willkür der Mutter ausgeliefert waren. Hettche (46) gibt den Vätern eine Sprache. Es heißt, wenn Männern die Worte ausgehen, schlagen sie zu. So wie Peter im Roman, der eigentlich nicht das Kind, sondern viel lieber die Mutter schlagen will.Dass das Sorgerecht vom Bundesverfassungsgericht gerade reformiert wurde, schmälert die Aktualität und das Anliegen dieses Buches, das gute Chancen auf den Deutschen Buchpreis haben dürfte, in keinster Weise. Im Gegenteil. Klar geht es um die juristische Situation entmündigter Väter, die nach der Reform nun eine bessere Chance haben, ihr Recht einzuklagen. Es geht aber auch um den Verlust von Unschuld. Das Anhalten von Zeit. Und um die Instrumentalisierung der Kinder durch ihre Eltern. Im Roman muss Annika kurzfristig den Urlaub mit dem Vater absagen, wenn es der Mutter so gefällt. Oder liegt in der Klinik, ohne dass ihr Vater informiert wird, weil Mutter das so will.Dass Hettche dabei aus der Mutter ein Monster macht, das die Tochter zu ihrem neuen Liebhaber mit ins Bett nimmt und ihre Sorgepflicht so schlecht erfüllt, dass Annika mit Tablettenvergiftung im Krankenhaus landet, hätte es nicht bedurft. Das ist der einzige Schönheitsfehler des sonst stimmigen Romans.Thomas Hettche: Die Liebe der Väter. Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 16,95 €

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