Dies allseits beschädigte Leben

Saarbrücken. An die Menschen hat er nicht geglaubt - nicht mehr seit 1938, als der deutsche Faschismus nach Österreich kam und dort begeistert willkommen geheißen wurde. Aber an Gott hat er geglaubt, das hat der Wiener Georg Kreisler wenige Wochen vor seinem Tod in einem letzten großen Interview zugegeben

 Kreisler (1922-2011) im vergangenen Mai in Fürth. Foto: dpa

Kreisler (1922-2011) im vergangenen Mai in Fürth. Foto: dpa

Saarbrücken. An die Menschen hat er nicht geglaubt - nicht mehr seit 1938, als der deutsche Faschismus nach Österreich kam und dort begeistert willkommen geheißen wurde. Aber an Gott hat er geglaubt, das hat der Wiener Georg Kreisler wenige Wochen vor seinem Tod in einem letzten großen Interview zugegeben. Wir wissen nicht, ob sein Glaube daran, dass nach dem Tod noch etwas kommen würde, ihm am Ende etwas Trost gegeben hat. Es wäre ihm zu wünschen, denn der Roman, an dem er fast bis zuletzt noch schrieb, ist die Abrechnung eines Zynikers, dessen Misstrauen jede Liebes- und Lebensregung und alle gesellschaftlichen Fortschritte überzog. Der immer witzige, aber zutiefst ernste Liedermacher und Satiriker starb unversöhnt mit der Welt, er hatte einfach in der falschen Zeit in ihr leben müssen.Das zeigt seine Wiener Familiengeschichte, die mit dem "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland einsetzt und bis tief in die 60er Jahre reicht. Die erste Hauptfigur Franz Achler sieht als 14-Jähriger in den neuen Machtverhältnissen eine Chance für sich, tritt der HJ bei und zieht fanatisiert in den Krieg. Gefangenschaft und späte Heimkehr läutern ihn, erst recht der Abgang seiner Ehefrau, die sich in seiner Abwesenheit mit einem anderen Mann getröstet hat. Franz wandert aus nach Australien, er lässt seinen Sohn zurück, der zum Kriegsende das Licht der Welt erblickt hatte.

Dieser Erwin ist die zweite, die eigentliche Hauptfigur. Ein Opfer seiner Glückssuche, ein Abenteurer ohne Rücksicht auf Verluste bei sich und auch bei anderen. Mit 17 bereits Alkoholiker und wegen Diebereien ins Gefängnis. Schon zuvor war er das, was man gemeinhin schwererziehbar nennt: renitent bis an die Grenze des Erträglichen, von seiner Mutter auf- und an die Großmutter abgegeben. Aus dem Knast entlassen gerät Erwin im Prater an einen Wahrsager, der sofort sein Blendertalent erkennt und ihm beibringt, wie man mit vagen, aber ausdrucksvollen Prophezeiungen Zeitgenossen dazu bringt, viel Geld zu geben. Erwin verdient bald mehr als sein Meister. Weil er erfolgreich ist und ihn eine Aura umgibt, fallen ihm etliche Frauen zu, mit deren Gefühlen er aber nur spielt. Erwin ist ein Hasardeur und sucht nur den eigenen Vorteil. Später, als eine der Frauen ihm aufrichtige Liebe entgegenbringt, vertändelt er damit die größte Liebeschance seines Lebens. In seiner Familie machen das alle so, dann rächen sie sich aneinander, danach geht es im alten Stil weiter. Indifferenz und Schmäh, Lug und Trug allenthalben. Erwin rutscht ins Schausteller- und Prostitutionsmilieu ab. Wenn er es wieder einmal verliert, betrügt er Frauen, Kunden und sogar den eigenen Vater.

Kreisler beschreibt ein von Anfang an beschädigtes Leben, damit bekräftigt er noch einmal seine These, dass die NS-Zeit verstümmelte Seelen hinterließ, auch die Nachgeborenen trifft dieser Fluch. Das ist so zynisch geschrieben, dass es eine Freude ist. Es sei der Nebel, heißt es, in den die Menschen damals hinein und nie wieder hinausgerieten. Ein bitteres Lebensfazit, bezieht es doch auch Kreisler ein, der ein Getriebener war, in den USA und anderen Ländern lebte und zuletzt doch wieder im ungeliebten Österreich, in Salzburg.

Georg Kreisler: Ein Prophet ohne Zukunft. Verbrecher Verlag, 315 Seiten, 24 €

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