Die Zeit? Ein Zahlenwerk

Hamburg. Ihr Werk ist sperrig und faszinierend. Hanne Darboven, eine der bedeutendsten internationalen Gegenwarts-künstlerinnen, wurde 1941 als mittlere von drei Töchtern einer bekannten Hamburger Unternehmersfamilie geboren. Von 1962 bis 1965 hat sie in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste studiert

Hamburg. Ihr Werk ist sperrig und faszinierend. Hanne Darboven, eine der bedeutendsten internationalen Gegenwarts-künstlerinnen, wurde 1941 als mittlere von drei Töchtern einer bekannten Hamburger Unternehmersfamilie geboren. Von 1962 bis 1965 hat sie in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste studiert.

Die entscheidenden Weichenstellungen jedoch erfuhr ihr Werk während eines zweijährigen New-York-Aufenthalts 1966 und 1967. Darboven begegnete hier den Vertretern der Minimal Art und der Konzeptkunst, sie pflegte enge Kontakte zu Künstlern wie Sol LeWitt und Carl Andre. Darboven begann in New York mit ihrer eigenständigen Methode der akribischen Aufzeichnung von Zeit. Auf Millimeterpapier nahm sie Additionen unter Berücksichtigung des jeweiligen Kalenderdatums vor, die sehr schnell seriellen Charakter bekamen. Was sie dabei antrieb, sagte die vierfache Documenta-Teilnehmerin Darboven in einem Interview, war die "Angst, nicht zu wissen, was ich auf dieser Welt sollte". Darboven: "Ich wähle Zahlen, weil sie mir erlauben zu schreiben ohne zu beschreiben. Das hat nichts mit Mathematik zu tun. Überhaupt nichts! Ich wähle Zahlen, weil sie so gleichförmig, begrenzt und künstlich sind. Die einzigartigste Sache, die jemals erfunden wurde, ist die Zahl."

Schreibexerzitien mit Füllfederhalter und Schreibmaschine bestimmten ihr Leben und Werk. Darboven betrieb ein strenges, nur auf den ersten Blick an naturwissenschaftliche Methoden angelehntes, aber letzlich kaum dechiffrierbares, sehr persönliches System des Aufzeichnens. Die Repräsentationsmedien ihrer Kunst waren nicht Malerei, Skulptur oder Zeichnung, sondern in erster Linie Diagramm, Tabelle und Archiv.

1978 begann sie, gefundene oder abfotografierte Materialien in gleichförmiger Rahmung auszustellen: Postkarten, Magazincover, Seiten aus Kunstkatalogen, Kalenderblätter, religiösen Kitsch, Soldatenfotos, naive Glanzbilder und persönliche Erinnerungen verwob sie zu monumentalen visuellen Systemen. Die Arbeit "Kulturgeschichte 1880-1983", eine ihrer größten, besteht aus 1590 Blättern und 19 skulpturalen Objekten. Sie befindet sich im Besitz der New Yorker Dia Art Foundation.

Der Informationsgehalt des herkömmlichen Archivs wird bei Hanne Darboven durch verwirrende Methoden der Anhäufung und der Querverweise ad absurdum geführt. Eine konkrete Lesbarkeit oder ein Nutzen werden verweigert, das Phänomen Zeit aber wird durch die schiere Wiederholung des zeitaufwändigen Schreibaktes und die Anhäufung des Materials in ihrem Werk sicht- und erfahrbar.

Daneben war Hanne Darboven auch als Komponistin tätig. Ihr "Sextett für Streicher, opus 44" wurde 2002 auf der Documenta 11 aufgeführt. Im Jahre 2000 gründete sie eine Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung ihres Werks und zur Unterstützung junger Künstler im In- und Ausland.

Der Zeit, auch ihrer eigenen Lebenszeit, hat Hanne Darboven wie kaum ein anderer Künstler Gestalt gegeben. Die "Schreibzeit", so nannte sie ihre Methode, ist vorbei.

 Hanne Darbovens Arbeit "Hommage à Picasso" im Guggenheim Museum in Bilbao - ein Foto von 1996. Foto: dpa

Hanne Darbovens Arbeit "Hommage à Picasso" im Guggenheim Museum in Bilbao - ein Foto von 1996. Foto: dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort