Wissen Die Hundertjährigen sind im Kommen

Rostock · Rund 16 000 Menschen in Deutschland sind 100 Jahre oder älter. Ihre Zahl wird weiter deutlich zunehmen.

 Senioren von heute sind fitter als ihre Alterskameraden im 20. Jahrhundert. Das Foto zeigt den damals 100-jährigen Marathonläufer Fauja Singh vor einem Start in Frankfurt. Der Brite hält den Altersrekord in dieser Diszipin.

Senioren von heute sind fitter als ihre Alterskameraden im 20. Jahrhundert. Das Foto zeigt den damals 100-jährigen Marathonläufer Fauja Singh vor einem Start in Frankfurt. Der Brite hält den Altersrekord in dieser Diszipin.

Foto: dpa/Arne Dedert

(kna) Die 100-Jährigen von heute haben viel durchlebt: die Weimarer Republik, Hitler, das geteilte Deutschland und dann auch die Wiedervereinigung. Bevölkerungswissenschaftler prognostizieren, dass es künftig deutlich mehr Menschen in Deutschland geben wird, die so lange Lebensspannen überblicken können. Meist sind es Frauen.

Lebten im Jahr 2000 knapp 6000 Hundertjährige in Deutschland, sind es heute schon mehr als 16 000. Und die Lebenserwartung steigt weiter. Rund 37 Prozent der im Jahr 2019 geborenen Mädchen werden den 100. Geburtstag erleben, prognostizierte das Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung in einer Studie für die deutsche Versicherungswirtschaft.

Etwa 77 Prozent der neugeborenen Mädchen werden ihren 90. Geburtstag erreichen. Die durchschnittliche Lebenserwartung neugeborener Mädchen geben die Rostocker Forscher mit 94,8 Jahren an. „Ein Alter von 90 wird in Zukunft völlig normal“, sagt Dmitri Jdanov vom Max-Planck-Institut. Von den heute geborenen Jungen können elf Prozent ihren 100. Geburtstag erleben. Rund 59 Prozent werden laut Statistik immerhin 90 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung neugeborener Männer gibt das Max-Planck-Institut mit 88,6 Jahren an.

Deutschland verändert sich. Und das hat Konsequenzen nicht nur für Renten- und Krankenversicherungen. Das Land befinde sich „auf dem Weg zur Greisen-Republik“, hieß es im Jahr 2007 in der fiktiven ZDF-Dokumentation „2030 – Aufstand der Alten“. Bedeutet eine höhere Lebenserwartung auch längeres oder verändertes Berufsleben? Wie verändert sich das Verhältnis der Generationen zueinander und können Beziehungen über so lange Zeiträume stabil bleiben?

„Die Alten von morgen haben mit ihren Großeltern etwa so viel gemeinsam wie das Telefon der 1950er Jahre mit dem Smartphone von heute“, macht der Volkswirtschaftler Thomas Straubhaar in der 2016 veröffentlichten Studie „Der Untergang ist abgesagt“ Mut. Schließlich sind die Senioren heute zufriedener als vor 20 Jahren. Sie fühlen sich jünger und fitter und haben im Schnitt mehr Geld in der Tasche. Das zeigen zum Beispiel die im Jahr 2017 veröffentlichten Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP). Auf einer Skala, die von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden) reicht, lag die durchschnittliche Zufriedenheit der Senioren im Jahr 1995 noch bei 6,8 – zwanzig Jahre später bereits bei 7,2. Nach einer im Jahr 2017 veröffentlichten Studie des Versicherungskonzerns Generali fühlten sich die 65- bis 85-Jährigen im Schnitt rund 7,5 Jahre jünger.

Wissenschaftler widersprechen auch der Annahme, dass Senioren im Alter zunehmend vereinsamen. Zwei Drittel der 65- bis 85-Jährigen leben mit einem Partner zusammen. 69 Prozent können auf einen Freundes- und Bekanntenkreis zählen. Die sozialen Netzwerke der Senioren haben sich stark erweitert, berichtete das Deutsche Zentrum für Altersfragen im Jahr 2017. Offen ist allerdings, ob sich der Trend fortsetzt. Denn Menschen im mittleren Alter leben heute seltener in langjährigen Ehen und bleiben häufiger kinderlos.

Auch sonst lassen sich Probleme nicht leugnen. Schon heute stellt die wachsende Zahl alter Menschen die Medizin vor große Herausforderungen, etwa im Krankenhaus. „Auf die Altersmedizin in Deutschland rollt ein Tsunami zu“, analysiert die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie. Das erfordert Umdenken: etwa besondere Kenntnisse über Mehrfacherkrankungen, die Wechselwirkungen von Arzneimitteln, zunehmende Pflege bei Demenz. „Je älter der Mensch wird, desto kleiner wird sein Aktionsradius“, so beschreibt der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse die Einschränkungen. Städte und Gemeinden müssten gestärkt werden, um gut erreichbare Geschäfte, geeignete Wohnungen, lebendige Nachbarschaften sowie eine gute medizinische und pflegerische Versorgung garantieren zu können.

(kna)
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