Die Welt ist ein Dorf

Venedig · Drei deutsche Filme haben beim Festival in Venedig viel Eindruck hinterlassen. Unter ihnen ist Edgar Reitz' vierstündige Fortführung seiner „Heimat“. Mit Schauspieler Nicolas Cage ließ sich auch ein wenig Hollywood-Prominenz an der Lagune sehen.

Je länger ein Festival dauert, desto stärker schwindet das Durchhaltevermögen bei filmischen Herausforderungen. Philip Gröning hat mit seinem Wettbewerbsbeitrag "Die Frau des Polizisten" aber offenbar schon am zweiten Tag der Filmfestspiele die Geduld zahlreicher Zuschauer so strapaziert, dass sie vorzeitig den Saal verließen. Der deutsche Regisseur verlangt dem Publikum auch einiges ab, könnte aber durchaus Chancen auf eine Auszeichnung haben.

Das Thema ist düster: der Alltag einer jungen Familie, in der die Frau das Opfer der Gewaltausbrüche ihres Mannes wird. Gröning zerlegt die Studie einer paradoxen, zwischen Nähe und Gewalt oszillierenden Beziehung in fast drei Stunden in knapp 60 kurze Kapitel. "Jeder Moment steht für sich allein, jeder Zuschauer muss das Mosaik für sich selbst zusammensetzen", sagte der 54-Jährige bei der Pressekonferenz. "Das habe ich gemacht, damit man als Zuschauer Distanz gewinnt, sonst könnte man das nicht durchhalten."

Während Gröning zum ersten Mal in Venedig im Wettbewerb läuft, blickt Edgar Reitz auf eine lange Venedig-Historie zurück. "Ich gehe hier in Venedig auf den Spuren meines Lebens", erklärte der 80-jährige Regisseur ("Heimat"). Er war in den 60ern mit seinem Debüt hier und zuletzt 2005 Mitglied der Jury. Diesmal ist er mit "Die andere Heimat" außer Konkurrenz in Venedig, mit der Fortschreibung seiner "Heimat". Wieder geht es um Menschen aus dem Hunsrück, diesmal zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In eindrucksvollen Schwarzweiß-Kompositionen, aber weniger komplex als in früheren Werken zeigt er in seinem Vier-Stunden-Werk das dörfliche Leben in einfachsten Verhältnissen. Ein Leben, das viele Menschen zu einem Neuanfang in fernen Ländern zwingt.

Das Thema der Emigration war einer der ausschlagegebenden Gründe für Reitz, den Film zu drehen: "Wir leben in einer Zeit, in der Immigration von großer Bedeutung geworden ist. Wir sehen überall Menschen, die bei uns ihr Lebensglück suchen und vergessen, dass wir in Deutschland auch vor gar nicht allzu langer Zeit die Menschen waren, die ihre Heimat verließen, um woanders ihr Glück zu suchen."

Auch der deutsche Regisseur Rick Ostermann blickt mit seinem Debüt "Wolfskinder" in der Sektion "Orizzonti" zurück in die Vergangenheit - in die Zeit direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Anhand des Schicksals zweier junger Brüder zeichnet er darin einen Ausschnitt aus dem Leben der titelgebenden, deutschen Kinder nach, die völlig auf sich allein gestellt durch Ostpreußen und in eine ungewisse Zukunft flüchten. Im starken Kontrast zu den erhabenen Wäldern und den schönen Naturaufnahmen zeigt Ostermann die Odyssee als entbehrungsreichen Überlebenskampf der Kinder. Ein Film voller eindringlicher, harter Szenen, der auch in den Wettbewerb gepasst hätte.

Dort setzte sich das Thema der Kinder und Jugendlichen, die mit den Härten der Wirklichkeit konfrontiert werden, in David Gordon Greens "Joe" fort. Nicolas Cage spielt einen Waldarbeiter, der sich mit einem 15-jährigen Jungen aus einer zerrütteten Familie anfreundet. Was als viel versprechende Milieustudie prekärer Verhältnisse, Alkoholismus und Verwahrlosung beginnt, verliert sich in einem Plot-Überkonstrukt, wo eigentlich der präzise Blick ausgereicht hätte. Mit Cage ließ sich immerhin etwas Prominenz in Venedig blicken. Lindsay Lohan wurde für ihren Comeback-Versuch in Paul Schraders "The Canyon" zwar erwartet. Zur Premiere des missratenen Erotikthrillers, der seine Intrigen, Abhängigkeiten und Beziehungen im Filmbusiness auf Seifen-Opern-Niveau verhandelt, ließ sie sich aber nicht blicken.

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