Die Welt als Königsberger Klops? Wladimir Kaminer in der Garage

Saarbrücken. Erst stand man sich vor der Saarbrücker Garage in der Kälte die Füße platt, weil die Lesung eine Stunde später anfing als vom Veranstalter angekündigt. Das war ärgerlich. Dann kam Wladimir Kaminer. Das war vergnüglich und machte alles wett

Saarbrücken. Erst stand man sich vor der Saarbrücker Garage in der Kälte die Füße platt, weil die Lesung eine Stunde später anfing als vom Veranstalter angekündigt. Das war ärgerlich. Dann kam Wladimir Kaminer. Das war vergnüglich und machte alles wett.Der Russe mit deutscher Staatsbürgerschaft, Wahl-Berliner, Kult-Autor und Russendisko-DJ steht am Mikro und will sein neuestes Werk vorstellen, "Onkel Wanja kommt". Eigentlich aber erzählt er viel lieber. Locker, mit blitzenden Augen und charmantem russischen Akzent. Davon, wie er sich als Botschafter deutscher Kultur im Herzen der USA wiederfindet, wo bewaffnete Menschen ohne Zähne gegen Krankenversicherung protestieren. Wie er gezwungen wurde, seinen Schrebergarten wegen Problemen mit spontaner Vegetation abzugeben, und vom deutschen Mann, der schweigsam und mit Blickstarre die Angebetete hypnotisiert. Der russische Mann gehe drastischer vor, zur Demonstration seines Seelenleids schrecke er nicht davor zurück, Zierfischpopulationen aus Aquarien aufzuessen.

Worüber Kaminer auch plaudert oder liest, immer taucht irgendwo die deutsche Ordnungsliebe auf, die gleich die ganze Welt vom Chaos befreien möchte und dieselbe am liebsten als Königsberger Klops sähe: praktisch, übersichtlich und rund. Während der Russe befürchte, die Erde könne auch "ein Kurzer in der Hand des großen Unbekannten" sein. Die einzige Frage, die den Russen bewege: "Will der das etwa alleine trinken?". Folglich sei das Gemüt dieses Landsmannes grimmig. Ja, auch "Onkel Wanja" kommt noch, der, alt und gebrechlich, glaubt, sterben zu müssen, und vorher noch was von der Welt sehen möchte. Weshalb er sich bei Neffe Wladimir einlädt und mit ihm durch Berliner Baustellen torkelt. Kaminers russischer Blick auf die Deutschen ist wohlwollend entlarvend, in seinen Geschichten durchdringen sich zwei Welten, um danach klarer aufzuscheinen. Kaminer versöhnt uns mit uns selbst, mit unseren Eigenarten und Schwächen. Das ist beruhigend, und wie er das tut, sehr kurzweilig. rr

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