„Die Verlierer sind die Christen“

Bücher über die Stadt dreier Religionen gibt es viele. „Ein Frühling in Jerusalem“, das erzählende Sachbuch von Wolfgang Büscher, ist jedoch etwas Besonderes. Es sucht nach der Seele dieser umkämpften Stadt. Büscher hielt sich ein halbes Jahr lang weitgehend in der Altstadt auf, beobachtete und sprach mit Menschen, denen er begegnete. Seine Arbeitsmethode ist die des Reporters, seine Sprache ist literarisch. SZ-Mitarbeiter Roland Mischke hat mit dem Autor gesprochen.

Nach dem jüngsten Attentat, bei dem Palästinenser jüdische Rabbiner in einer Synagoge töteten, rief Israels Premier Benjamin Netanjahu den "Kampf um Jerusalem " aus. Hätten Sie das erwartet?

Büscher: Nichts von dem, was jetzt geschieht, überrascht mich. Der Kampf um Jerusalem ist so alt wie die Stadt. Immer wieder erobert, zerstört, wieder aufgebaut. Als ich in den ersten Monaten dieses Jahres dort war, war es eher friedlich, aber Spannung hing in der Luft.

Kommt nun die nächste Intifada , der Aufstand der Palästinenser?

Büscher: Manche sagen, die dritte Intifada sei schon im Gange. Die großen Verlierer sind die Christen . Man denkt das nicht, wenn man zu normalen Zeiten dort ist. Millionen Pilger aus aller Welt drängen jedes Jahr durch Basare, Souks und Kirchen. Aber ein Mönch, der während der zweiten Intifada 2000 in Jerusalem war, erzählte mir, wie leer die Stadt war, weil die Pilger ausblieben. "Wir sahen, wie wenige wir sind", sagte er. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Altstadt christlich geprägt. Heute gehen die Söhne und Töchter der Armenier, Orthodoxen, Katholiken und anderer Christen nach Amerika und Europa - sie sehen für sich in Jerusalem keine Zukunft.

Sie haben sich über Monate hinweg ganz auf Jerusalem eingelassen, auf den Rhythmus, die Mentalitäten, den Platz arabischer und jüdischer Händler, auch die Spiritualität dieser Stadt. Wie hat sich das auf Sie ausgewirkt?

Büscher: Die ersten Wochen sind immer schwierig. Es ist wie vor einer Liebe - eine Zeit der Annäherung, der Prüfung, der Zweifel. In Jerusalem war es wirklich die Liebesfrage: Lässt mich die Stadt zu sich oder wendet sie sich ab? Ab einem gewissen Punkt hatte ich das Gefühl, sie zeigt sich mir.

Wie haben Sie sich in der Altstadt mit dem Basar gefühlt? Dort kann es sehr grob zugehen, Touristen werden zum Kaufen geradezu genötigt, es ist laut.

Büscher: Man muss lernen zu gleiten. Nicht sperrig dastehen gegen Basarhändler, die auf einen einreden, fuchteln, nicht fliehen, sondern schwimmen. Den Spruch und das Lächeln zurückgeben und vorüber schwimmen. Wenn die merken, dass man das drauf hat, genau wie sie selbst, werden die ganz zahm.

Wie haben Sie Ihre Gesprächspartner gefunden?

Büscher: Jerusalem ist klein. Die Altstadt, das ist ein Quadratkilometer hochkonzentrierte Geschichte, Geschichten, Schicksale. Es gibt keinen, der kein Schicksal hat. Es ist wie bei Moses in der Wüste. Man muss nur an den Stein schlagen, und schon sprudeln die Wasser des Erzählens.

Der Filmemacher Volker Heise, der über Monate hinweg "24 h Jerusalem " gedreht hat, erzählte, dass es im Alltag zwischen den Bewohnern, die unterschiedlichen Religionen anhängen, keinerlei Berührung gibt. Die Stadt sei komplett geteilt.

Büscher: Das stimmt. Es gibt die vier Viertel der Altstadt, das größte ist das moslemische, dann kommt das christliche, dann das jüdische, das kleinste ist das armenische. Es gibt die Mauer um die Altstadt, dann noch Mauern um die Konvente, deren Tore wurden noch in den fünfziger Jahren verschlossen. In so einem Konvent habe ich gewohnt.

Es gibt keinen einzigen Ort, wo sich Jerusalemer mit anderen Jerusalemern treffen?

Büscher: Einzige Ausnahme ist die neue Mamilla Mall vor dem Jaffator. Dort begegnen sich Juden, Moslems und Christen unbefangen, die Cafés sind gemischt. Das ist einzigartig, wahrscheinlich in ganz Israel.

Sind Sie besorgt um Jerusalems Zukunft?

Büscher: Um den Tempelberg herum braut sich etwas zusammen. Immer, wenn ich oben war, gab es Krawall. Die Moslems sind in heller Aufregung, sie glauben, die Juden wollten ihnen den Tempelberg wegnehmen - genau dort stand ja bis zum Jahr 70 der große jüdische Tempel.

Wolfgang Büscher: Ein Frühling in Jerusalem .

Rowohlt, 240 S., 19,95 Euro.

www.rowohlt.de

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