Die verhältnismäßige Frau

Véronique Olmi erzählt die Geschichte einer Affäre: Der erfolgreiche Immobilienmakler Serge liebt die eher unattraktive Suzanne. Was sucht er bei ihr?

Die Firma läuft, die Frau ist schön und 30 Jahre jünger, die Kinder lernen Klavier, Luxus gibt es genug. Das Glück könnte vollkommen sein, wenn nicht diese Migräne wäre. Dann genießt der 60-jährige Immobilienmakler Serge nur bedingt "die Gelassenheit des bürgerlichen Lebens". Er schleppt etwas aus seiner Vergangenheit mit sich herum, worüber er bisher nicht einmal mit Lucie reden konnte, der er alle Wünsche erfüllt. Er hat das Gefühl, "sie für all die Jahre entschädigen zu müssen, die er ihr stiehlt".

Als seine Frau ihn zu einem Ausflug in eine schmuddelige Bar, die so gar nicht seinem Niveau entspricht, überredet, sieht er, wie dort selbstversunken eine Frau tanzt. Er erkennt die Klavierstimmerin, die sich tagsüber in Klempnermontur seinem Bösendorfer Stutzflügel gewidmet hatte. Schön ist sie nicht, doch nachts im Bett bekommt er sie nicht aus dem Sinn. "Unvollkommen, abgenutzt, präsent", so scheint diese Suzanne zu leben, ohne Angst zu haben. "Sie ist schön", denkt irgendwas in seinem Kopf, "sie ist alles, was er nicht kennt". Von ihr fühlt er sich gelockt in eine andere Welt, in der es sein könnte wie bei einem Auslandsbesuch, wo man sich das Beste nimmt, ohne länger bleiben zu müssen. Er stellt ihr nach, eine Obsession nimmt ihren Lauf.

Wieder skizziert die Französin Véronique Olmi mit wenigen präzisen Strichen eine Ausgangssituation, in die hinein sie dann ein von knisternder Erotik und dunklen menschlichen Innenseiten grundiertes Kammerspiel platziert. Die Kammer ist hier zunächst Suzannes eheliche Wohnung. Hier reibt sie ihm mit ihrem Handtuch den Kopf trocken, als könne sie die Migräne wegwischen. Dann haben sie Sex im Bett des gehörnten Ehemanns. Im doppelten Wortsinn erleichtert kehrt Serge nach dieser Liebe ohne Gegenleistung nach Hause. Alles war ganz einfach, auch wenn sie nach dem Höhepunkt weinte. Das soll nicht sein Problem sein, wird es dann aber doch.

Mag sein, das Olmi diesmal Personen, Bilder und Metaphern gelegentlich ins Eindimensionale verrutschen, entziehen kann man sich ihrer Versuchsanordnung zum Sezieren verwundeter Seelen nicht. Atmosphären zaubern kann sie und Texte sinnlich aufladen. "Wenn man sich von dieser schrecklichen Müdigkeit ausruhen würde, die das Bemühen kostet, sich zu ertragen", heißt es, und: "das Schlimmste versteckt sich im eigenen Haus, eingefressen in das Alltägliche".

Später erzählt Serge Suzanne seine Ödipusgeschichte: diktatorischer Vater, früh verstorbene Mutter und eine passive Mitschuld am Tod ihres Geliebten. Schuld und lebenslange Sühne, die er in Erfolgsdruck und schamlose Geschäftspraktiken kanalisierte, bis diese verhältnismäßige Frau erscheint, bei der er nicht nur funktionieren muss, sondern die auch ein wenig Pathos zulässt: "… er ist der Mann, der spricht und leidet. Ich bin die Frau, die zuhört und pflegt." Gut geht das nicht, Schutz ist immer nur Illusion, und Leidenschaft schafft Leiden.

Véronique Olmi: Das Glück, wie es hätte sein können. Kunstmann, 224 Seiten, 19,95 Euro.

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