Die unterschätzte Kunst des Meisters

Berlin · Den meisten ist Alfred Otto Wolfgang Schulze alias Wols als meisterlicher Maler der abstrakten Kunst bekannt. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt jetzt eine andere Seite des Künstlers, die kaum bekannt ist: Wols als Fotograf im Paris der 30er Jahre.

 Der Eifelturm im Jahr 1937. Fotos: Estel/ Klut/ VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Der Eifelturm im Jahr 1937. Fotos: Estel/ Klut/ VG Bild-Kunst, Bonn 2014

 Max Ernst. Foto: VG Bild-Kunst

Max Ernst. Foto: VG Bild-Kunst

Foto: VG Bild-Kunst
 Stillleben mit Pampelmuse.

Stillleben mit Pampelmuse.

Als Maler war Alfred Otto Wolfgang Schulze, der 1913 in Berlin geboren wurde und sich später den Künstlernamen Wols gab, auf den ersten drei documenta-Ausstellungen vertreten, 1958 bei der Biennale Venedig. Bis heute gilt der 1951 mit 38 Jahren an einer Fleischvergiftung verstorbene Künstler als einer der wichtigsten und zugleich geheimnisvollsten Vertreter des Informel. Und das, obwohl sein malerisches Oeuvre mit nur rund 80 Werken sehr schmal geblieben ist.

Ausstellungen zum 100. Geburtstag in der Kunsthalle Bremen und im Museum Wiesbaden haben ihn ausführlich gewürdigt. Der Berliner Martin-Gropius-Bau konzentriert sich nun ganz auf das bisher zu Unrecht vernachlässigte fotografische Werk. "Wols Photograph. Der gerettete Blick" versammelt das fotografische Gesamtwerk von Wols. Präsentiert werden teils intime Porträts von Mitgliedern der Pariser Bohème, Modeaufnahmen, Selbstporträts, Pariser Stadtansichten, Stillleben und Fotogramme. Die Aufnahmen sind ausnahmslos schwarz-weiß.

Für einen künstlerisch motivierten jungen Mann, der 1932 in Deutschland alle Brücken hinter sich abbricht und mit einem Empfehlungsschreiben des Bauhaus-Lehrers Lászlo Moholy-Nagy nach Paris geht, um dort künstlerisch Fuß zu fassen, lag es nahe, sich zunächst mit Fotoarbeiten über Wasser zu halten: Der Bedarf in der Stadt der Mode und der Weltausstellung 1937 war groß. Wols profitierte davon, zumal er das Metier in seiner Heimatstadt Dresden bei der angesehenen Porträtfotografin Genja Jonas erlernt hatte.

Er fotografierte für Modemagazine und vertrieb, unter anderem Namen, etliche Motive auch als Postkarten. Schon seine Porträts sind alles andere als gewöhnlich: Wols nähert sich seinen Modellen bis auf kürzeste Entfernung mit der Kamera - und provoziert so unkonventionelle Posen. Er fertigt seriell anmutende Mehrfachaufnahmen derselben Person, variiert das Licht, lässt die Modelle in verschiedene Richtungen blicken, die Augen schließen, zeigt sie rauchend oder trinkend. Daneben entstehen auch zahlreiche experimentelle Stillleben mit Obst, Gemüse, Fleisch oder Fischen, die in ihrer existenzialistischen Mixtur aus Härte und Sensibilität weit über das bloß surrealistische Arrangement seiner Zeitgenossen hinausweisen. So etwa ein Stillleben mit einem abgezogenen Kaninchen, Kamm und Mundharmonika. Wols' herausragendes fotografisches Werk entstand nur in den Jahren von 1932 bis 1939. Im Jahr des Kriegsausbruchs wurde seine Pariser Wohnung aufgebrochen, die gesamte Fotoausrüstung geplündert. Aufgrund der widrigen Lebensumstände gelang es ihm nicht, sich Ersatz zu besorgen. Anfang der 1940er Jahre als "feindlicher Ausländer" klassifiziert, verbrachte er ein Jahr in verschiedenen südfranzösischen Internierungslagern. Nach 1945 war er dann vornehmlich mit der Malerei beschäftigt.

Dass sein beachtenswertes fotografisches Werk jetzt vollständig und wissenschaftlich perfekt aufbereitet in Berlin besichtigt werden kann, darf als Glücksfall für Fotografie-Enthusiasten gewertet werden. Michael Hering, der Kurator der Schau, sagt: "Wols ist in seiner Ästhetik schon viel weiter als die Fotografen, die ihn umgeben. Sein Werk weist im Grunde bereits auf die Nachkriegsmoderne hin."

Bis 22. Juni. Mi-Mo, 10-19 Uhr. www.gropiusbau.de

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