Die unerhörten Eltern

Meinung · Im Prinzip ist es ganz einfach: Deutschland erhöht die Steuern, um mehr Lehrer einzustellen. Die Grundschule dauert sechs Jahre, Schüler werden überall bis in den Nachmittag unterrichtet, Kindergarten ist Pflicht. Das alles müsste geschehen, wenn man die Ergebnisse der Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zur Bildung zugrunde legt

Im Prinzip ist es ganz einfach: Deutschland erhöht die Steuern, um mehr Lehrer einzustellen. Die Grundschule dauert sechs Jahre, Schüler werden überall bis in den Nachmittag unterrichtet, Kindergarten ist Pflicht. Das alles müsste geschehen, wenn man die Ergebnisse der Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zur Bildung zugrunde legt. Denn auch das ist ein Resultat: Die Menschen stellen dem Schulsystem in Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus.Da muss es verwundern, dass die sechsjährige Grundschule in Hamburg in einem Volksentscheid, die fünfjährige im Saarland am Murren von Eltern, Lehrern und Kommunen scheiterte. Und dass auch verpflichtende Ganztagsschulen immer wieder auf Widerstände stoßen. Mit dem Volkswillen ist das nun mal so eine Sache. Auf ihn ist nicht immer Verlass. Umfragen machen noch keine Politik.

Die öffentliche Meinung ist auch nicht immer fair. Denn natürlich hat sich im deutschen Bildungssystem nach dem Schock des ersten internationalen Pisa-Vergleichstests einiges verändert. Bildung wird schon in den Kitas großgeschrieben, der Unterricht an den Grundschulen geht stärker auf die einzelnen Schüler ein. Die pädagogischen Angebote an den Nachmittagen wurden ausgeweitet. Die Politik mit ihren vielen engagierten Bildungsexperten nimmt die Sorgen der Bürger auf. Auch die Kindergartenpflicht findet dort Anhänger - trotz rechtlicher Bedenken. Erstaunlich taub stellt sich die Politik aber bei einem Anliegen, das nicht erst die neue Umfrage belegt, sondern das so alt ist wie die Republik: der Wunsch nach der Einheitlichkeit von Schulsystemen, Lehrplänen und Abschlüssen unter den Bundesländern. Zwar haben sich die Kultusminister nach langen Mühen wenigstens in Kernfächern bis zur mittleren Reife auf einheitliche Bildungsstandards geeinigt. An ein gemeinsames Abitur ist aber nicht zu denken. Und warum muss der Fünftklässler, der in Hessen schon ein Gymnasium besucht, beim Umzug nach Berlin in die (dort sechsjährige) Grundschule? Gelingt einem Hauptschüler aus Bayern der Wechsel auf die neue saarländische Gemeinschaftsschule? Man kann diesen Wildwuchs Vielseitigkeit nennen, ihn als Wettbewerbs-Föderalismus preisen. In Wirklichkeit geht es darum, dass die Bildung das wichtigste Spielzeug der Landespolitiker ist, das sie nicht hergeben wollen. Sie haben in der Föderalismus-Reform sogar das Kooperationsverbot ertrotzt, das dem Bund direkte finanzielle Hilfen für Schulen - etwa für Ganztagsbetreuung - versagt. Was für ein Erfolg!

An Schulstrukturen doktern die Bundesländer gerne rum. Sie sollten lieber mal die Strukturen der Bildungspolitik selbst überprüfen - und dem Bund eine größere Rolle zubilligen. Das Volk jedenfalls wäre sehr dafür.

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