Absturz der Lira Die Türkei ist selbst schuld an den Problemen im Land

In ihrer wachsenden Wut auf die USA und ihrer Weigerung, zur finanz- und wirtschaftspolitischen Vernunft zurückzukehren, gleicht die türkische Regierung einer Zeichentrickfigur, die über den Rand des Abgrundes hinausgejagt ist und jetzt für einige Sekunden in der Luft rudert: Die harte Landung ist absehbar.

Absturz der Lira: Die Türkei ist selbst schuld an den Problemen im Land
Foto: SZ/Robby Lorenz

Präsident Erdogan sagt nicht nur Donald Trump den Kampf an, sondern auch den internationalen Finanzmärkten. Die Türkei sei zum „Krieg“ bereit, sagte Erdogan am Montag. Ein schlüssiges Programm zur Bekämpfung der Krise hat seine Regierung aber nicht: Während Erdogan weiter Kampfrhetorik verbreitete, sackte die Lira im Vergleich zum Freitag weiter ab. Die Leidtragenden sind türkische Normalbürger, deren Ersparnisse dahinschmelzen.

Viele Probleme sind hausgemacht. In den Jahren des billigen Geldes hat die Türkei strukturelle Reformen verschlafen und muss jetzt bei steigenden Zinsen mit ansehen, wie sich Investoren zurückziehen, um ihr Vermögen woanders anzulegen. Erdogans offene Einflussnahme auf die Entscheidungen der Zentralbank, die schwache Vorstellung seines Schwiegersohnes und Finanzministers Berat Albayrak und der Streit mit Trump verschrecken die Anleger noch weiter. Ohne Kurskorrektur droht der Türkei eine Pleitewelle.

Verstärkt wird die Misere durch das neue Präsidialsystem, das wenige Wochen vor dem Beginn des Zerwürfnisses mit den USA in Kraft trat. Es gibt niemanden in Ankara, der Erdogans Politik wirksam kontrollieren und, wenn nötig, ein Gegengewicht bilden kann, wie die Vorgaben des Staatschefs an die Zentralbank zeigen. Früher oder später wird die türkische Führung jedoch wie die Zeichentrickfigur von der Schwerkraft eingeholt werden. Selbst ein Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Türkei wird inzwischen diskutiert. Das kann Erdogan nicht wollen – aber was er will, ist schwer zu sagen, denn sein bisheriges Verhalten führt geradewegs ins Chaos.

Ähnliches gilt für seine Außenpolitik. Im Streit mit den USA hat Erdogan hoch gepokert: Seine Regierung versuchte, im Gegenzug für eine Freilassung des US-Pastors Brunson von Washington weitreichende Zugeständnisse zu erhalten, und ist dabei gescheitert. Zwar hat Erdogan Recht, wenn er jetzt beklagt, dass Trump die Freilassung des Priesters mit Sanktionen erpressen will. Die amerikanische Regierung setzt auf eine offene Kampfansage an Erdogan statt auf eine Fortsetzung diskreter Gespräche. Doch dass es so weit gekommen ist, liegt nicht zuletzt an Erdogans Selbstüberschätzung im Umgang mit den USA.

Auch in den Beziehungen zu Europa sind Turbulenzen trotz aller Bemühungen beider Seiten um eine Normalisierung möglich. Schließlich gibt es auch in den türkisch-europäischen Beziehungen einige ungelöste Streitpunkte, von denen einer oder mehrere plötzlich eskalieren könnten. Die Türkei – so zeigt sich an der ersten ernsten Bewährungsprobe für das neue Präsidialsystem – ist unberechenbarer geworden.

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