Die Suppenschüssel im Theaterzelt

Saarbrücken · Am Saarländischen Staatstheater inszenierte Immo Karaman schon „Eis und Stahl“ und „Doctor Atomic“. Am Sonntag bringt er „Hoffmanns Erzählungen“ ins Theaterzelt des SST.

 Regisseur Immo Karaman bei den Proben. Foto: Karger

Regisseur Immo Karaman bei den Proben. Foto: Karger

Foto: Karger

Am Sonntag, Wahltag, ist Premiere einer Neuinszenierung von Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen". Regie führt Immo Karaman, der am Saarländischen Staatstheater schon "Eis und Stahl", "Doctor Atomic" und "Eugen Onegin" inszenierte. Gerade wurde er in der Kritikerumfrage der Zeitschrift "Deutsche Bühne" für "Siroe" bei den Händel-Festspielen in Göttingen zweimal für die beste Regie nominiert. 2010 gab es für die Saarbrücker Inszenierung von "Doctor Atomic" eine Nominierung für den Deutschen Theaterpreis "Der Faust".

Den Künstlertypus des 19. Jahrhunderts prägt Paradiessuche, geistiger Hunger, unerfülltes Sehnen. Die "dampfende Suppenschüssel" aus dem "Goldenen Topf" steht bei E.T.A. Hoffmann sinnbildlich für das behagliche und kunstferne Bürgerleben. In Immo Karamans Heimat, dem bodenständigen Ruhrgebiet, gilt die Suppenschüssel mehr als die Kunst. Er kam 1972 in der Fußballhochburg Gelsenkirchen zur Welt. Regie, Theater, Film? "Flausen" seien das, beschieden die Lehrer dem als musikalisch hochbegabt eingestuften Jungen mit absoluten Gehör. Es zog ihn zum Film, doch die Hochschule wollte ihn nicht. Die Befürchtung, die Ambitionen könnten sich doch noch in Suppendampf auflösen, trieb Karaman an die Musikhochschule. Eine Hospitanz bei Regisseur Dietrich Hilsdorf begeisterte ihn für die Oper - nachdem er die regelmäßigen Opernbesuche mit den Eltern stets als Strafe empfunden hatte.

Bei Hilsdorf war das anders, da hatte plötzlich alles Sinn, jeder Ton seine gestische und szenische Entsprechung. Hilsdorf machte klar, dass man "die Musik lesen kann, wie ein sehr klares Drehbuch". Diesen Anspruch hat auch Karaman, der damals erfreut registrierte, wie nahe die Oper dem Film ist, und sich daranmachte, die Tonspur großer Partituren zu entdecken. Nun also "Hoffmanns Erzählungen", inszeniert im Zelt vor dem Theater. Karaman legt den Fokus auf den Erzähler, auf "Hoffmanns Zustand", den er als zerrissen empfindet. Der Künstler und wahnhafte Visionär E.T.A. Hoffmann entfernt sich durch Benennung von Dingen, die eben nur er sieht, von den anderen Menschen, deren Anerkennung er sich jedoch wünscht. In Antonia findet er eine bedingungslos Liebende und ist mit ihr als emotional tiefem, "ganzheitlichem Wesen" überfordert. In der Guilietta-Episode kommt ihm sein Spiegelbild, und damit die "Resonanz in der Gesellschaft" abhanden.

Karaman bespielt eine Bühne, will die Möglichkeiten der Illusionskunst nutzen, sich für ein Dazwischen interessieren. Nichts zwingt zu Logik und Stringenz, auch der Komponist nicht, der starb, bevor er seinem Werk eine letztgültige Form geben konnte. Jene Wirtshausrealität, in der Hoffmann von Studenten bedrängt wird, eine von seinen Gespenstergeschichten zu erzählen, und zum wunderbaren Lied von Klein Zack anhebt - muss es sie wirklich geben? "Unvermittelt in die Geschichte zu fallen", Hoffmanns Beeindruckbarkeit, die "Zustände" zu zeigen, reizt den Regisseur. In Hoffmann sieht er einen frühen Surrealisten, der es geschafft habe, sein persönliches Drama umzusetzen. Eine Spießerhölle mit Figuren, "die sich aus dem Realen ins Groteske" entwickeln.

Karaman behält bei seiner Inszenierung Jacques Offenbachs souveräne Beherrschung satirisch-witziger und effektvoller Publikumsunterhaltung ebenso im Auge wie E.T.A. Hoffmanns Freude an Jahrmärkten und Gauklern. Das Theaterzelt mit seinem Wanderbühnen-Charakter, den eingeschränkten Möglichkeiten, die zum "händischen" Theater zwingen, und nicht zuletzt der großen Publikumsnähe. Das alles erscheint Karaman geradezu ideal.

Premiere: Sonntag, 19.30 Uhr, im Theaterzelt des SST.

Tel. (06 81) 309 24 86.

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