Die Spur der Steine

Saarbrücken. "Die Handkraft bleibt", sagt Leo Kornbrust einmal. Die aus dem Körper hervorgetriebene Handschrift des Bildhauers. Auf und im Stein, Holz oder Stahl. Was dies heißt, hat man vielleicht nie so verstanden wie nach diesem Film

Saarbrücken. "Die Handkraft bleibt", sagt Leo Kornbrust einmal. Die aus dem Körper hervorgetriebene Handschrift des Bildhauers. Auf und im Stein, Holz oder Stahl. Was dies heißt, hat man vielleicht nie so verstanden wie nach diesem Film. Über fünf Jahre hat die Journalistin Gaby Heleen Bollinger (und frühere Sängerin von "Espe") den mit ihr befreundeten Bildhauer Leo Kornbrust begleitet. Von seinem Wohn- und Geburtshaus in St. Wendel-Baltersweiler in die Welt hinaus: nach Paris, nach Majdanek, in die Pyrenäen, nach Moskau.

Dennoch ist "Es geht nur langsam" nicht in erster Linie, aber doch auch ein Film (gefördert von der Saarland Medien GmbH) über die bewundernswerte Beharrlichkeit Kornbrusts. Im Zentrum der zweistündigen, vielschichtigen Spurensuche steht die von dem Maler und Bildhauer Otto Freundlich entworfene Vision einer "Straße des Friedens". Ohne von ihr zu wissen, hatte Kornbrust selbst 1971 den Plan zu einer Skulpturenstraße im St. Wendeler Land. Als er erfuhr, dass Freundlich bereits 1936 Ähnliches im europäischen Maßstab verfolgt hatte, verschrieb er sich der Verwirklichung dieser Idee. Seit 40 Jahren. Was aber sind schon 40 Jahre, verglichen mit dem Lebensalter von Steinen? Was ein Leben, verglichen mit der Haltbarkeit seiner Handkraft?

Freundlich schwebte eine von Nord nach Süd (von Holland bis ans Mittelmeer) und von West nach Ost (vom Ärmelkanal bis nach Russland) reichende "Straße der menschlichen Brüderlichkeit" vor. Gesäumt von Skulpturen, die ein ebenso imaginäres wie steinernes Band der Humanität bilden. "Je brutaler die Gegenwart, umso Feineres und Geistreicheres muss man tun - das ist Starksein", notierte er. 133 Skulpturen von Bildhauern aus aller Welt sind seither entstanden - ein von Kornbrust auch mit 81 noch unermüdlich vorangetriebenes Kunstprojekt, Freundlichs Sozialutopie tief verbunden. "Ich verstehe mich selber durch seine Schriften", sagt er.

Einmal sieht man ihn den Katalog zu der Nazi-Ausstellung "Entartete Kunst" aus einer Museumsvitrine nehmen. Die Kopfplastik auf dem Titelblatt stammte von Freundlich. Wenige Jahre nach seiner Kunst wurde dann auch er selbst verfolgt. Im Pyrenäendorf Saint Martin, wo ihn eine Familie versteckt hielt, holten ihn Gendarmen ab. Man deportierte ihn nach Polen, wo er 1943 ermordet wurde. Ein kleines Aquarell, das er nicht zu Ende malen konnte, hängt noch heute im Haus in Saint Martin, in dem Kornbrust den damals im Kamin versteckten Farbkasten in Händen hält.

Bewegende Momente hält Bollingers Film deren viele bereit. Etwa wenn der Bildhauer Shlomo Selinger, der neun Konzentrationslager überlebte, sagt, seine Arbeit ermögliche ihm jeden Tag aufs Neue "den Ausgang aus meinem Gefängnis". Oder Kornbrust auf einem Hotelbett in Moskau sitzt und ein Foto von "Fee" küsst, seiner gestorbenen Frau Felicitas Frischmuth. Oder in einem deutschen Steinbruch ein israelischer neben einem palästinensischen Bildhauer sitzt, verbunden durch das Projekt Freundlichs und Kornbrusts, Brüder im Geist. Oder ein junger Künstler aus St. Martin, der dort Freundlich zu Ehren in einem alten Gemäuer Künstler zusammenbringen will, Kornbrust fragt, ob dies Projekt Teil der "Straße des Friedens" werden dürfe. "Avec Plaisir" antwortet er.

"Die Kräfte sichtbar machen, die all die Einzeldinge verbindet", wollte Freundlich. Die Skulpturen lösen genau dies ein. Nicht nur, wie sie korrespondieren - so, wie auch das 1983 von Paul Schneider im Dreiländereck initiierte Projekt "Steine an der Grenze" längst Bestandteil der "Straße des Friedens" ist. Sie verbinden immer wieder Künstler - meist im Hause Kornbrusts, in dem er nach dem Tod seiner Frau, die in Bollingers Film noch solche Präsenz hat, alleine zurückgeblieben ist. "Fee" verdankt dieser sehenswerte Film seinen Titel. Wie sagt Leo Kornbrust doch: "Die Straße des Friedens hat große Ähnlichkeit mit meiner Langsamkeit hier am Stein." Die Spur der Steine aber, sie zeichnet sich immer deutlicher ab. cis

Heute 17.30 Uhr: Kino Achteinhalb.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort