Die Schätze des Herrn Lehnhoff

Saarbrücken. Wenn man so will, schließt sich nun nach 30 Jahren ein Kreis: Als er im Winter 1981 auf einem Berliner Flohmarkt in einer Schachtel einen Teil des Nachlasses von Gustav Regler fand und für 50 Mark erstand, war Hermann Lehnhoff zwar längst als passionierter Dokumente-Retter auf Auktionen und Trödelmärkten unterwegs

 2000 Autographen umfasst die Sammlung LeWa, von denen die Ausstellung einige zeigt, etwa einen Brief des ersten Literaturnobelpreisträgers von 1901, Sully Proudhomme (1837-1907). Fotos: Oliver Dietze

2000 Autographen umfasst die Sammlung LeWa, von denen die Ausstellung einige zeigt, etwa einen Brief des ersten Literaturnobelpreisträgers von 1901, Sully Proudhomme (1837-1907). Fotos: Oliver Dietze

Saarbrücken. Wenn man so will, schließt sich nun nach 30 Jahren ein Kreis: Als er im Winter 1981 auf einem Berliner Flohmarkt in einer Schachtel einen Teil des Nachlasses von Gustav Regler fand und für 50 Mark erstand, war Hermann Lehnhoff zwar längst als passionierter Dokumente-Retter auf Auktionen und Trödelmärkten unterwegs. Hatte er schon Jahre zuvor Tausende "Formbriefe" verschickt, in denen er sich als Autographensammler vorstellte und aus Who's-Who-Büchern ermittelte Prominente bat, ihm handschriftliche Dokumente zu überlassen. Dennoch bedeutete der (durch spätere Recherchen Lehnhoffs um ein Brief-Konvolut komplettierte) Reglerfund eine Zäsur in seinem Sammlerleben, weil dieses sich fortan professionalisierte und ein erstes inneres Zentrum gefunden hatte. Ein Jahr später überließ Lehnhoff seinen Fund der Saarbrücker Regler-Forschungsstelle, aus der später dann eben jenes Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass erwuchs, dem er nun wiederum eine 7000-teilige Kollektion überlassen hat, die man nicht umhin kommt, einen Glücksfall zu nennen.Sie beinhaltet etwa 2000 Autographen vom 18. bis 20. Jahrhundert (überwiegend handschriftliche Briefe und Manuskripte), dazu rund 4000 Bücher, Handpressenerzeugnisse mit Originalgraphiken sowie schätzungsweise 1000 Dokumente und historische Fotografien, darunter wertvolle Daguerreo- und Ferrotypien - und stellt doch nur einen Bruchteil des Lehnhoff'schen Sammeluniversums dar. Ein Pars pro toto genauso wie die 30 000 Exponate zählende Fotosammlung aus dem Besitz seiner 1999 gestorbenen Lebens- und Sammlergefährtin Maria Wallport, die 2009 als Schenkung ans Landesarchiv ging. Nicht anders verhält es sich mit dem nun in Dudweiler Präsentierten - einer von Lehnhoff selbst besorgten, liebevollen Auswahl von 700 Exponaten, deren angemessene Würdigung nicht nur Zeit und Muße bedarf, sondern auch Talent im Handschriftenlesen und als Rüstzeug idealerweise die Mitnahme von Klappstühlchen und Lupen.

So defiliert man an einem auf engstem Raum komprimierten Sammelsurium vorbei. Stimmungsbildern. Man stößt auf eine Vitrine mit Erstausgaben von 1945 im Aufbau-Verlag erschienenen Büchern; man sieht Schaukästen mit Raritäten aus dem Dunstkreis der Berliner Handpressen der 60er und 70er Jahre. Man hält inne vor einer Sammlung von Briefen französischer Autoren des 19. Jahrhunderts - zumeist Schriftstücke von heute genauso in völlige Vergessenheit gefallenen Autoren wie etwa der Däne Johannes Hauch (1790 bis 1872) oder der Österreicher Peter von Tramin (1932-81). Die unerhörte Relativität dessen, was man so leichthin Berühmtheiten nennt, macht dies putzige Potpourri schlagartig bewusst. Ins Auge sticht dies, wenn man Lehnhoffs fotografische Ehrentafeln abschreitet, nach Stahl- und Kupferstichen entstanden. Nicht jeder, der dort voller Erhabenheit posiert, ist ein Shakespeare, Dumas, Tieck. Oder man auf Autogrammkarten - obschon keine 40 Jahre alt, als Selbstvermarktungsweg reinste Nostalgie - in die Gesichter von Autoren blickt, die längst nicht alle zum Kreis der "Unsterblichen" gehören (wie Brecht, Frisch oder Simenon).

Es ließe sich vieles sagen über die Selbstlosigkeit und Skurrilität des 62-jährigen Schenkers und dessen nicht genug zu rühmenden Bestandssicherungen in unseren selbstvergessenen Zeiten, in denen man Familiennachlässe schamlos auf den Müll wirft und glaubt, es genüge, historisches Erbe auf Wikipedia-Niveau zu verschlagworten. Lehnhoff aber, der 2004 nach 30 Berliner Jahren wieder in seine Rehlinger Heimat zurückzog, tritt lieber ganz hinter seinen Dokumenten zurück.

Eines aber wird man doch erwähnen müssen, weil es das Erstaunlichste an dieser unermesslichen Schatzkammer des Herrmann Lehnhoff ist: Er hat selbst fast kein Geld hineingesteckt. Nicht nur, weil er ganze Privatsammlungen (fast 30 an der Zahl) bei Trödlern auftat und für kleines Geld bekam. Sondern auch, weil er oft nach dem Ende von Auktionen Übriggebliebenes günstig erwarb oder von Händlern beschenkt wurde. Nie hat er auch nur ein einziges Stück verkauft. Er will nichts damit verdienen. Dafür hat Lehnhoff eine Mission. Und die Hoffnung, dass spätere Generationen die von ihm gesicherten Werte erkennen.

Auch Marbach habe mal als Schillerarchiv angefangen, sagt der im Mai ausscheidende Leiter des Saar-Lor-Lux-Elsass-Archivs, Günter Scholdt. Mit anderen Worten: "Man darf sich nicht zu klein denken", sagt er, der dem Archiv diese Lehnhoff-Schenkung ermöglicht und sich selbst damit das schönste Abschiedsgeschenk bereitet hat.

Auf einen Blick

Bis 8. Mai ist ein Zehntel der 7000 Exponate umfassenden Sammlung LeWa, die in den Besitz des Literaturarchivs übergangen ist, in dessen Räumlichkeiten zu sehen (Mo-Fr: 9-12 Uhr u. 14-16 Uhr).

An den Osterfeiertagen sowie am 1. und 8. Mai ist sie von 14 bis 18 Uhr geöffnet. An diesen Tagen führt Hermann Lehnhoff. red

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