"Die Polizei darf gerne bei mir einziehen"

Am 14. Juni kommt der Dokumentarfilm "Never Sorry" über Ihr Leben in die deutschen Kinos. Kein Bedauern - ist das in Ihrem Leben Wunsch oder Realität?Ai Weiwei: "Never Sorry" ist meine Grundeinstellung. Der Titel hat eine Geschichte. 2009 machte ich in München die Ausstellung "So Sorry"

Am 14. Juni kommt der Dokumentarfilm "Never Sorry" über Ihr Leben in die deutschen Kinos. Kein Bedauern - ist das in Ihrem Leben Wunsch oder Realität?Ai Weiwei: "Never Sorry" ist meine Grundeinstellung. Der Titel hat eine Geschichte. 2009 machte ich in München die Ausstellung "So Sorry". Das bezog sich auf die faulen Entschuldigungen, die wir so häufig von Politikern und Beamten hören. Wer "Tut mir leid" sagt, versucht sich oft aus der Verantwortung zu stehlen. Ich versuche, das Gegenteil zu leben: Verantwortung und Engagement.

Dafür zahlen Sie einen hohen Preis. Ihre Festnahme vor einem Jahr war für Sie und ihre Familie ein schwerer Schlag. Haben Sie nie bereut, mit ihren politischen Aktivitäten so stark in die Öffentlichkeit getreten zu sein?

Ai: Natürlich gibt es Dinge, die ich bedauere, aber bereuen tue ich es nicht. Als Kind habe ich erlebt, wie schwierig das Leben für die Generation meines Vaters war, für Intellektuelle und jeden unabhängigen Geist. Damals wäre ich für meine Aktionen vielfach zum Tode verurteilt worden, kein Witz. Gemessen daran leben wir nun durchaus in einer liberaleren Zeit.

Trotzdem hat die Partei versucht, Sie mundtot zu machen. Seit ihrer Freilassung vor einem Jahr können Sie sich kaum noch in der Öffentlichkeit äußern. Die ein oder andere kritische Aktion können Sie sich aber nicht verkneifen. Zum Jahrestag Ihrer Verhaftung etwa haben Sie in ihrem Studio Überwachungskameras angebracht und die Bilder ins Internet gestellt - eine offene Anspielung auf staatliche Kontrolle.

Ai: Die Idee drängte sich auf, weil ich ja ständig überwacht werde. Rund um mein Haus sind 15 Kameras installiert. Jeder, der rein- oder rausgeht, wird identifiziert. Im Gefängnis waren in meiner Zelle drei Kameras. Während meine Familie nicht wusste, wo ich bin und wie es mir geht, konnten die Beamten mich jede Sekunde beobachten. Als Erinnerung daran habe ich am Jahrestag meiner Festnahme selbst Kameras aufgebaut: in meinem Schlafzimmer, im Büro, auch hier im Garten. Jeder, der sich für mich interessiert, sollte sehen können, was ich so mache. Im Internet haben sich das innerhalb von 47 Stunden 5,2 Millionen Menschen angeschaut. Schließlich haben die Behörden es nicht mehr ausgehalten und mir gesagt: Bitte schalte das ab. Das habe ich dann auch gemacht.

Früher wäre das undenkbar gewesen, da hätten Sie dafür gekämpft, dass Sie zuhause tun und lassen können, was Sie wollen.

Ai: Stimmt, früher hätte ich darauf bestanden.

Die Zeit der offenen Konfrontation ist also vorbei?

Ai: Ich denke, ich habe kommuniziert, was ich kommunizieren wollte. Dass ich damit nicht die Welt verändere, ist mir klar. Aber als chinesischer Staatsbürger muss ich mich an die hier geltenden Regeln halten. Die Polizei ist sehr mächtig, das hat sie ja unter Beweis gestellt. Ich habe keine andere Wahl, als ihre Anweisungen zu befolgen. Aber ich lerne aus diesen Schwierigkeiten und entwickle eine neue Denkweise, eine neue Art der Kommunikation.

Wie sieht die aus?

Ai: Neulich lud ich die Polizisten ein, ob sie nicht bei mir im Büro arbeiten wollen. Ich habe gesagt: "Dass ihr mich ständig ausspioniert, ist völlig ineffizient. So bekommt ihr nicht all die Informationen, die ihr wollt oder zieht daraus die falschen Schlüsse. Also zieht bei mir ein." Aber natürlich nahmen sie meine Einladung nicht an.

Kurz nach Ihrer Festnahme hat die Berliner Akademie der Künste Sie demonstrativ als Gastprofessor eingeladen. Wann werden Sie den Lehrauftrag erfüllen?

Ai: Die einjährige Bewährungszeit, die mir die Behörden nach meiner Entlassung auferlegt haben, endet am 22. Juni. Wenn ich dann eine Reiseerlaubnis bekomme, könnte ich Ende 2012 nach Deutschland fliegen.

Was wollen Sie unterrichten?

Ai: Eigentlich will ich von den Studenten etwas lernen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was die Akademie von mir erwartet.

China veranstaltet 2012 in Deutschland ein Kulturjahr, aber Sie oder ihre Kunst sind natürlich nicht Teil des offiziellen Programms. Trotzdem wird wohl keiner der von Pekings Kulturbeamten ausgesuchten Filme, sondern "Never Sorry" das größte chinesische Kinoereignis des Jahres sein. Ironisch, oder?

Ai: Ja, das ist allerdings ironisch. Die Regierung gibt Milliarden aus, um so genannte "chinesische Softpower" zu verbreiten. Sie hat die Riesenleinwand am Times Square in New York gemietet und hält mit allen möglichen Ländern Kulturjahre ab. Aber mein Name darf dort nirgends auftauchen. Unsere Regierung versteht einfach nicht, wie Kultur funktioniert, wie Kunst, Freiheit und Kreativität zusammenhängen und unser Land stärker machen könnten.

Wie optimistisch sehen Sie Chinas Zukunft?

Ai: Sehr optimistisch! Chinas junge Generation, die in den 80ern und 90ern aufgewachsen ist, lebt schon in einer ganz anderen Welt. Das Internet hat sie in vieler Hinsicht befreit, und immer mehr studieren im Ausland. Das wird China verändern.

Wie geht es für Sie weiter? Ihr Verfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung ist noch immer nicht abgeschlossen.

Ai: Ich habe jetzt meinerseits das Pekinger Steueramt verklagt und das Gericht hat den Fall auch angenommen. Wir warten jetzt auf den Verhandlungstermin. Womöglich wird das Gericht uns nie Recht geben. Aber die Öffentlichkeit wird ihr eigenes Urteil fällen.

Hintergrund

Ai Weiwei lebt idyllisch. Im Garten seines Wohnstudios im Norden Pekings sprießen Bambus und Kiefern. Ein Dutzend Katzen und Hunde tollen über den Rasen. Ai sitzt in der Morgensonne und isst Kirschen. Die Kerne landen in einem Aschenbecher, der die Form des Pekinger Olympiastadions hat. Ein Spucknapf mit Symbolwert: 2002 wurde Ai durch seine Mitarbeit am Design des "Vogelnests" weltberühmt. Noch vor den Olympischen Spielen 2008 distanzierte er sich von dem Projekt, das er als geschmacklose Machtdemonstration der KP wertete. Seitdem gilt Ai Weiwei als Chinas prominentester Regimekritiker. Am 3. April 2011 nahm man ihn fest und warf ihm Steuerhinterziehung vor - ein Vorwand, mit dem die Partei ihren wortmächtigsten Herausforderer mundtot machen will. Nach 81 Tagen ließ man Ai unter Auflagen frei. Seitdem gibt er kaum noch Interviews. bnt

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