Die Kurdenpartei soll draußen bleiben

Istanbul · Es gab einmal eine Zeit, da war Salih Müslim ein gern gesehener Gesprächspartner in Ankara. Der Chef der Demokratischen Unionspartei (PYD), der größten Kurdenpartei in Syrien, sprach in den vergangenen Jahren mit Geheimdienstvertretern in der türkischen Hauptstadt über die Entwicklung im Norden des Bürgerkriegslandes.

Inzwischen gilt Müslim in Ankara als Boss einer Terrorgruppe, der unter allen Umständen von den an diesem Freitag beginnenden Genfer Friedensverhandlungen für Syrien ferngehalten werden muss. Doch es könnte sein, dass Ankara mit seiner Haltung den türkischen Interessen eher schadet als nützt.

Mit einer Boykott-Drohung hatte sich die türkische Regierung in den vergangenen Tagen gegen eine mögliche Einladung an die PYD nach Genf gewehrt. Die PYD und ihr bewaffneter Arm YPG haben enge Verbindungen zur türkisch-kurdischen Rebellengruppe PKK und gelten in Ankara als terroristische Vereinigungen, die genauso bekämpft werden müssten wie der Islamische Staat (IS). Müslim bestätigte, dass er keine Einladung nach Genf erhalten habe. UN-Vermittler Staffan di Mistura und andere Experten sind sich einig, dass eine Gruppe wie die PYD, die viele syrischen Kurden vertritt und zehn Prozent des syrischen Staatsgebietes kontrolliert, irgendwie am Gesprächsprozess beteiligt werden muss, wenn die Verhandlungen eine Chance haben sollen. Berichten zufolge will Mistura versuchen, Müslim nach dem offiziellen Beginn in die Gespräche einzubinden.

Wie das funktionieren soll, ohne den wichtigen syrischen Nachbarn Türkei zum Boykott zu veranlassen, ist nicht bekannt. Der Nationale Sicherheitsrat in Ankara bekräftigte, die PYD oder andere "Terrororganisationen" dürften keinen Platz am Verhandlungstisch haben. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu beteuerte, sein Land sei nicht gegen eine Verhandlungsteilnahme der syrischen Kurden, nur gegen eine Einladung der PYD.

Doch da Müslims Gruppe die entscheidende politische Kraft im syrischen Kurdengebiet ist, stellt sich die Frage, wer die Volksgruppe in Genf vertreten soll, wenn die PYD ausgeschlossen bleibt. Zudem werden PYD und YPG von den USA und anderen westlichen Staaten sowie Russland als wichtiger Partner im Kampf gegen den IS angesehen. Müslim betonte denn auch, ohne seine Partei würden die Gespräche in Genf so enden wie alle vorherigen Friedensbemühungen für Syrien - mit einem Scheitern. Abdulselam Ali, ein anderer PYD-Vertreter, wurde noch deutlicher: Islamistische Rebellengruppen seien in Genf vertreten, seine eigene Partei dagegen nicht, schimpfte er. Ohne Einladung nach Genf werde die PYD die dort erzielten Vereinbarungen nicht anerkennen. Damit deutet sich an, dass das Fernhalten der Kurdengruppe aus Genf für die Türkei ein Pyrrhussieg sein könnte. Denn ohne Disziplinierung durch die Verhandlungsteilnahme könnte die PYD erst recht die Gründung eines eigenen Staates anstreben - jene Entwicklung, die Ankara verhindern will.

Der Kolumnist Semih Idiz wies in einem Beitrag für die "Hürriyet Daily News" darauf hin, dass die PYD und ihre Kampftruppe YPG in Syrien weitere Gebietsgewinne anstrebten. Wie Syrien in Zukunft aussehen werde, entscheide sich durch die derzeitigen Gefechte, schrieb er. Der "türkische Alptraum" eines autonomen Kurdengebietes entlang der syrisch-türkischen Grenze sei noch keineswegs ausgeträumt.

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