Die Künstler und die Huren

Frankfurt · Das einzigartige Künstlerbiotop im Pariser Viertel Montmartre brachte um 1900 eine neue Kunst hervor. Pablo Picasso und Henri de Toulouse-Lautrec gingen daraus hervor. Die Frankfurter Schirn-Kunsthalle zeigt, was hinter dem Mythos steckte.

 „Le Bohème, poète de Montmartre“: Den versunkenen Komponisten Erik Satie malte der katalanische Künstler Ramon Casas 1891. Das Foto unten zeigt Montmartre im Jahr 1904. Fotos: Courtesy Northwestern University Library/Collection Société d'Histoire Le Vieux Montmartre

„Le Bohème, poète de Montmartre“: Den versunkenen Komponisten Erik Satie malte der katalanische Künstler Ramon Casas 1891. Das Foto unten zeigt Montmartre im Jahr 1904. Fotos: Courtesy Northwestern University Library/Collection Société d'Histoire Le Vieux Montmartre

 Pablo Picasso malte 1901 den Akt „Nu aux bas rouges“. Foto: Grand Palais/Thierry Le Mage

Pablo Picasso malte 1901 den Akt „Nu aux bas rouges“. Foto: Grand Palais/Thierry Le Mage

Foto: Grand Palais/Thierry Le Mage

Der erste Blick fällt auf ein weltbekanntes Pariser Varietétheater. Das Gemälde hinter der Tür zur Schau "Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900" zeigt das Moulin Rouge bei Nacht. Über den Schatten der wartenden Droschken vor den erleuchteten Fenstern thronen die roten Flügel der Attrappen-Windmühle. Was sich innen abspielte, offenbaren die Bilder, die bis zum 1. Juni in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle zu sehen sind. Die Schau stellt das ärmliche Viertel vor, das vor über 100 Jahren zum einmaligen Laboratorium der Kunst der Moderne wurde.

"Montmartre war ein faszinierender Mikrokosmos von Künstlern, Komponisten, Artisten und Lebenskünstlern", erklärt Direktor Max Hollein. "Er war wie kein anderer Ort um 1900 berühmt wegen seiner Massierung von Künstlerpersönlichkeiten." Gezeigt werden über 200 Gemälde, Plakate und Grafiken von 26 Künstlern, darunter Pablo Picasso, Vincent van Gogh, Kees van Dongen, Henri de Toulouse-Lautrec und Amedeo Modigliani. Es handelt sich um Werke von 1885 bis 1910 aus internationalen Museen und Privatsammlungen.

"Die Schau will das Viertel Montmartre dem Klischeehaften entreißen", fügt Hollein hinzu. Historische Fotografien zeigen einen Straßenzug mit stattlichen, mehrstöckigen Gründerzeithäusern und direkt daneben Holzhütten, Gestrüpp und enge Gassen. Genau in diesem Viertel fanden Künstler billigen Wohnraum, genossen künstlerische Freiheit, und entdeckten in den Bewohnern und Straßenszenen ihre Themen, die die Kehrseiten der "Belle Époque" zeigten.

Die Ausstellung mache die Atmosphäre des Viertels mit seinen Wäscherinnen und Prostituierten, Absinthtrinkern und Schauspielern erlebbar, erläutert die Kuratorin Ingrid Pfeiffer. "Man sieht, wie die Kunst erstmals die Härten des Alltags ungeschminkt darstellt." Manche Bilder zeigen Frauen mit leichenhaft weißen Gesichtern: "Die Prostituierten schminkten sich weiß, um die Geschwüre der Syphilis zu verdecken", erklärt Pfeiffer. Ein Viertel der Bevölkerung habe an den damals unheilbaren Infektionskrankheiten Tuberkulose und Syphilis gelitten. Die Prostituierten waren eines der bevorzugten neuen Motive. "Die Arbeiterin kann zwischen zwei Möglichkeiten wählen: entweder Prostitution oder Hunger und langsamer Tod", zitiert Kuratorin Pfeifer den Schriftsteller Émile Zola.

Doch die Künstler entwickelten keinen voyeuristischen, sondern einen realistischen Blick. So widmen sich Gemäldegruppen dem dörflichen Montmartre oder den Varietés und den Tänzerinnen. Breiten Raum nimmt die Aktmalerei ein vom Malermodell bis zur Darstellung von Prostituierten. Die Bewohner des Viertels wie Wäscherinnen und Bettler bilden ein weiteres Motiv, ebenso Zirkusleute und die Künstler, die sich selbst und gegenseitig porträtierten. Eine eigene Abteilung zeigt Druckgrafik und Plakatkunst als neue Kunstform, eine andere Werke von Künstlerinnen wie Suzanne Valadon und Marie Laurencin.

Bis zum 1. Juni. Geöffnet dienstags und freitags bis sonntags, 10 - 19 Uhr; mittwochs und donnerstags, 10 - 22 Uhr. Weitere Informationen unter www.schirn.de

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