Die hilflosen Europäer

Meinung · Europa ist aufgewacht. Noch bis vor wenigen Wochen war die Gemeinschaft wegen der Probleme des Reformvertrags mit Nabelschau beschäftigt und hat darüber vergessen, wie real sich die politischen Gewichte in der Welt zu verschieben begannen

Europa ist aufgewacht. Noch bis vor wenigen Wochen war die Gemeinschaft wegen der Probleme des Reformvertrags mit Nabelschau beschäftigt und hat darüber vergessen, wie real sich die politischen Gewichte in der Welt zu verschieben begannen. Die frohe Botschaft der Demokratisierung und des Aufbaus aus europäischen Fördertöpfen, die man gen Osten trug, entpuppte sich als Zündstoff, weil man die wachsenden Widerstände Russlands nie wirklich ernst nahm. Das rechtfertigt nicht Moskaus blindes Draufschlagen in Georgien, aber es lässt die EU-Außenpolitik in einem fahlen Licht erscheinen.Je weiter man die Arme Richtung Ukraine, Georgien oder Moldawien ausstreckte, umso riskanter wurde die Brüsseler Politik, weil sie nicht gleichzeitig die Beziehungen zu Russland regelte. Das hätte man tun müssen, noch vor 2004, als man ehemalige russische Satellitenstaaten in die Arme schloss. Deren Ängste vor Moskaus Strategie nahm man nicht ernst, vertraute darauf, dass sich Russland nach Glasnost und Perestroika an das Völkerrecht halten und Wirtschaftskontakte nicht riskieren würde. Es war ein Irrtum.Vor ihrem Sondergipfel steht die Gemeinschaft mit heruntergelassenen Hosen dar. Immer klarer wird, dass man nichts in der Hand hat, um Russland wieder auf einen vernünftigen Kurs zu bringen. Wer sich von den Grundprinzipien der Demokratie und des Völkerrechts verabschiedet, ist für Appelle unzugänglich. Da bleiben nur starke Worte, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel nun mit Recht gebraucht hat. Auch wenn klar ist, dass sie sich am kommenden Montag in die Reihe derer, die man "vernünftig und besonnen" nennt, einreihen wird. Denn es gibt nur einen Weg: der Dialog mit Russland muss intensiviert - und die strategischen Folgen der jüngsten Entwicklung müssen durchdacht werden. Moskaus Gewaltausbruch fand ja nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt statt. Europa steht ohne Hilfe da, der große Verbündete in Washington ist mit Wahlkampf, Afghanistan und Irak ausgelastet. Die EU selbst ist zu eigener militärischer Stärke noch nicht fähig - und eigentlich eher stolz auf ihre außenpolitische Diplomatie. In die aber hätte man Russland mit all seinen Vorstellungen von Einfluss-Sphären früher einbinden müssen.Vor diesem Hintergrund wird die EU zusammenrücken müssen, auch in Sachen Reformvertrag. Die Gemeinschaft muss stärker werden, auch durch einen Präsidenten und einen "Außenminister". Und egal wie groß das Bedürfnis nach Abstrafung auch sein mag, an Russland als Partner Europas führt kein Weg vorbei. Das muss der Sondergipfel am Montag klarmachen.

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