Die Haut als Leinwand

Hamburg · Alte Traditionen und neue Geschichten: Die große Ausstellung „Tattoo“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet sich der Kulturgeschichte der Körperbemalung.

 Ein makabres Gemälde: Marlon Wobsts „Skin Ball”, ein Ball aus Haut. Foto: Schwarz Contemporary

Ein makabres Gemälde: Marlon Wobsts „Skin Ball”, ein Ball aus Haut. Foto: Schwarz Contemporary

Foto: Schwarz Contemporary
 Das sieht schmerzhaft aus – eine Tätowierung auf dem Augenlid: Timm Ulrichs Fotografie „The End“. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Das sieht schmerzhaft aus – eine Tätowierung auf dem Augenlid: Timm Ulrichs Fotografie „The End“. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
 Das Tattoo als Clan-Zeichen in Burma. Foto: Jens Uwe Parkitny

Das Tattoo als Clan-Zeichen in Burma. Foto: Jens Uwe Parkitny

Foto: Jens Uwe Parkitny

Sie dienen der Verschönerung und der Selbstvergewisserung, aber auch der Stigmatisierung und Ausgrenzung: Tätowierungen erfüllen seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte die unterschiedlichsten Funktionen. Acht Millionen Deutsche tragen sie - die einen selbstbewusst und für jeden sichtbar. Die anderen verschämt oder im Verborgenen. Doch was heute als modischer Trend gilt, hat eine lange Tradition. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) widmet ihr jetzt unter dem Titel "Tattoo" eine große kulturgeschichtliche, thematisch geordnete Ausstellung.

Rund 250 Exponate, darunter Fotografien, Gemälde, Skulpturen und Videoarbeiten ebenso wie Hautpräparate, Tätowiermaschinen und Vorlageschablonen, geben Einblick in ein Feld, das von der modischen Populärkultur ebenso geprägt ist wie von der knallharten Behauptung geschlossener sozialer Milieus - etwa unter Angehörigen der Yakuza, der japanischen Spielart der Mafia .

Den Auftakt bildet eine aufgeschlagene Seite aus einem Forschungsbericht von 1817. Die Zeichnung zeigt einen jungen brasilianischen Indianer mit einem grafischen Gesichtstattoo zwischen Nase und Oberlippe.

Die Tätowierpraxis der unterschiedlichsten Kulturkreise übte auf Europäer schon immer eine große Faszination aus. Beispiele dafür aus Neuseeland, Thailand oder Burma hält die Ausstellung in Hülle und Fülle bereit. Tätowierungen drücken etwa bei den Maori die soziale Stellung aus, in Thailand sollen Schutztätowierungen vor Krankheit, Unfällen und Verbrechen bewahren, und in Burma informieren sie über die Clanzugehörigkeit.

Einen besonderen Stellenwert haben Tätowierungen voller geheimer Codes im Gefängnismilieu. Eine Fotoserie aus Russland untermalt dies eindrucksvoll. Zu sehen ist ein Fotoloop mit der Sammlung von Fahndungsfotos von Rudolf Archibald Reiss, der Tattoos kriminalistisch auswertete. Aus den rechtsmedizinischen Instituten in Basel und Kiel präsentiert die Schau eingelegte Feuchtpräparate von tätowierter Haut aus der Zeit um 1900. Sie dienten ursprünglich zur Identifizierung von Leichen.

Die Schau zeigt auch künstlerische Auseinandersetzungen: So überredete der polnische Videokünstler Artur Zmijewski einen 92-jährigen Ausschwitz-überlebenden, seine langsam verblassende KZ-Tätowierung ein zweites Mal stechen zu lassen. Eine problematische Erinnerungsarbeit. Der Belgier Wim Delvoye hält auf einer Farm in China tätowierte Schweine. Das ausgestopfte Exemplar "Tim" thront im Zentrum der Schau und regt zu der Frage an: Was darf Kunst?

Bis 6. September. Infos:

www.mkg-hamburg.de

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