Die gebrochenen Blicke eines Kriegsjahres

Metz

 Fixpunkt der Metzer Ausstellung ist Pablo Picassos 1917 entstandener, zehn mal 16 Meter großer Theatervorhang "Rideau de scène du ballet Parade". Foto: Sucession Picasso/ VG-Bildkunst, Bonn 2012

Fixpunkt der Metzer Ausstellung ist Pablo Picassos 1917 entstandener, zehn mal 16 Meter großer Theatervorhang "Rideau de scène du ballet Parade". Foto: Sucession Picasso/ VG-Bildkunst, Bonn 2012

Metz. Was ist der tiefere Erkenntniswert dieser Monumentalschau, fragt man sich nach dem x-ten Schlachtengemälde, dem vis à vis auf zahllosen Plakaten aus dem Jahr 1917 Durchhalteparolen, Siegesgewissheiten und Rekrutierungswerbungen diverser Kriegsparteien ein schales Echo bereiten? Irgendwo auf halber Strecke des in zehn Abteilungen gegliederten Parcours der Galerie 1 des Metzer Centre Pompidou, dem sich in der spiralförmig leitenden Grande Nef danach noch zwölf weitere Stationen anschließen. Das bipolare Ausstellungskonzept kalkuliert einen Dialog zwischen der internationalen Kunstproduktion des Jahres 1917 und der in Zeitungen, Fotos, Filmen und Werbeanzeigen jenes vorletzten Kriegsjahres dokumentierten Historiografie. Man spart wahrlich nicht mit Anschauungsmaterial. Nur: Was erfahren wir dabei, was nicht längst bekannt war?Dass im Zeichen der unvorstellbaren Exzesse von Verdun nicht mehr nur glühende Kriegsbegeisterung obwaltete, sondern längst die beißende Kritik an den verübten Gräueltaten künstlerisch die Oberhand gewonnen hatte, gehört zu den Essentials der Kunstgeschichte jener Jahre. Genauso wie das Wissen um den (afrikanischen und südseeischen) Exotismus und das Herbeimalen religiös überhöhter Idyllen im Zeichen des Krieges. Am anderen Ende der Skala der Rückzugsbewegungen dann die Flucht in eine hermetisch gegen alle Außeneinflüsse abgeriegelte Innerlichkeit à la Paul Klee.

Vielleicht ist das größte Manko der von Hausherr Laurent Le Bon gemeinsam mit Claire Garnier kuratierten Ausstellung ihr Vollständigkeitsanspruch. Alles will man abhandeln und bleibt dabei notwendigerweise an der Oberfläche. Am Sinnfälligsten wird dies in jenen beiden Nebenarmen des Ausstellungsparcours, die die Züricher Dada- und die niederländische de Stijl-Bewegung mehr schlecht als recht anzitieren. Um ihrer Grundidee Genüge zu tun, anhand der äußerst disparaten Kunstproduktion eines Jahres die Divergenz des Gleichzeitigen und damit unterschiedliche menschliche Verarbeitungsstrategien in einem großen Zeitpanorama abzubilden, karren die Kuratoren weit über tausend Exponate herbei - Hauptsache, das ganze Spektrum wird abgedeckt und damit eine Art kartografisches Verzeichnis des künstlerischen Schaffens im Jahr 1917 erzielt.

Dabei geht das Spiel mit den inneren Widersprüchen historischer Chronologien im Detail phasenweise durchaus auf - etwa gleich zu Beginn, wo vier Gemälde höchst unterschiedliche Stil- und Sujet-Linien markieren (zwei Schlachtenbilder von John Nash und Albin Egger-Lienz kontrastieren da mit einem Stillleben Picassos und Max Pechsteins religiös aufgeladenem, mäßigen Werk "Vertreibung aus dem Paradies"). Das folgende Nebeneinander diverser Titelseiten von Militär-Postillen sowie dreier Radierungen von Käthe Kollwitz, Otto Dix und Max Beckmann, die die Leidensgeschichte des Ersten Weltkrieges in Blick nehmen, gibt dann aber bereits eine Zweisträngigkeit vor, an der das Ausstellungsprojekt im weiteren Verlauf krankt: Die historische Einbettung kennt als roten Illustrationsfaden ganz überwiegend nur Kriegsmotive (Fotos des aufgebahrten Auguste Rodin etwa oder die Vorboten der Russischen Revolution sind insoweit die Ausnahme), während die kunsthistorischen Spiegelungen desselben ungleich vielschichtiger ausfallen. Und so ist das eigentliche Ereignis dieser Ausstellung paradoxerweise weniger diese selbst, als vielmehr der hervorragende, ungleich tiefer schürfende (französischsprachige) Katalog, der in seiner wissenschaftlichen Akribie die allzu summarische Plakativität der Schau konterkariert. Dass die Grenzen zwischen künstlerischen und sonstigen Darstellungen, wie Claire Garnier im Katalogvorwort schreibt, poröser sind als es den Anschein hat, verdeutlicht nichts mehr als Hunderte in einer Großvitrine aufgereihte Granathülsen, in die damalige Soldaten kleine Ornamente eingravierten.

Im zweiten Teil der Ausstellung (Grande Nef) wird die bildliche Engführung historischer und künstlerischer Kriegsdarstellungen dann loser, sodass die artistischen Spielräume (gebündelt etwa in den "Camouflage", "Inversions" und "Masques" überschriebenen Kapiteln) zunehmen. Am Ende öffnet sich der wie in einem Schneckenhaus gefangene Blick wieder und fällt von Monets "Seerosen" in ausgeklügelter Inszenierung auf Picassos 1917 für das Pariser Théâtre du Châtelet entworfenen Bühnenvorhang für Satie/Cocteaus "Parade", der seit 20 Jahren nicht mehr zu sehen war (nicht zuletzt ob seiner gewaltigen, von wenigen Museen zu stellender Ausmaße von 10 x 16 Meter). Die Harlekine am Tisch dort wünschten wohl, auch sie hätten Flügel wie Pegasus und die Engel daneben.

 Fixpunkt der Metzer Ausstellung ist Pablo Picassos 1917 entstandener, zehn mal 16 Meter großer Theatervorhang "Rideau de scène du ballet Parade". Foto: Sucession Picasso/ VG-Bildkunst, Bonn 2012

Fixpunkt der Metzer Ausstellung ist Pablo Picassos 1917 entstandener, zehn mal 16 Meter großer Theatervorhang "Rideau de scène du ballet Parade". Foto: Sucession Picasso/ VG-Bildkunst, Bonn 2012

Bis 24. September. Mo, Mi: 11-18 Uhr; Do, Fr: 11 -20 Uhr; Sa: 10-20 Uhr; So: 10-18 Uhr.

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