Die falsche Asyl-Debatte

Die Betroffenheit ist groß, und diesmal hält sie etwas länger an als gewohnt. Was sich vor den Toren der Europäischen Union abspielt, hat nichts mit einer Wertegemeinschaft zu tun, die sich Frieden, Freiheit und Menschenrechte auf die Fahnen schreibt.

Dabei lässt die jüngste Tragödie vor Lampedusa die wahren Ausmaße des Problems nur ahnen: Insgesamt 19 000 Flüchtlinge kamen zwischen 1988 und 2013 vor Italiens Küste ums Leben. Dennoch können, wollen und werden die EU-Mitglieder an der Sachlage nichts ändern. Weil sie allen nützt.

Italiens Klage über mangelnde europäische Solidarität geht ins Leere. Würde die umstrittene Dublin-II-Verordnung tatsächlich neu verhandelt, damit Rom endlich zufrieden ist, gäbe es ein bitteres Erwachen: Um die Lasten gerecht zu verteilen, müsste Italien nämlich alle seine Flüchtlinge behalten - und es kämen sogar noch ein paar aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Schweden dazu. Auch würde mancher, der heute nach offenen Grenzen ruft, der heimischen Bevölkerung bestimmt nicht erklären wollen, dass sie weitere Flüchtlinge aufnehmen soll. Humanitäre Forderungen lassen sich leicht erheben, wenn das Geschehen nur weit genug entfernt ist. Zudem hat das europäische Asylrecht mit dem schrecklichen Sterben im Mittelmeer nur wenig zu tun.

Sicher, Europa und die afrikanischen Staaten müssen ihren Kampf gegen kriminelle Menschenhändler und Schleuserbanden verstärken. Doch eine Welle von Flüchtlingen, die Hunger, Elend, Folter und Tod entkommen wollen, lässt sich nicht an einer Grenze stoppen. Deshalb mag das neue Eurosur-Projekt zur frühzeitigen Erkennung von Schiffen auf dem Weg ins gelobte Europa zwar technisch überaus interessant sein, das eigentliche Problem jedoch verschiebt es nur. Ohne wirkungsvolle Hilfe in den Heimatländern potenzieller Asylbewerber wird sich an der Lage erst dann etwas ändern, wenn der Winter kommt und die See in jeder Hinsicht ruhiger wird. Aber es wird hoffentlich niemand auf den Gedanken verfallen, dies als politisches Konzept zu empfehlen.

Die EU muss weitaus offensiver als bisher die jungen afrikanischen Demokratien stützen und fördern. Und wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, wenn wohlmeinende Alt-Stars ihre kleinen Entwicklungshilfe-Oasen in Äthiopien vorführen, damit wir glauben, alles sei in bester Ordnung. Die 28 Mitgliedstaaten müssen Afrikas ökonomische, politische und humanitäre Zukunft zu ihrer Sache machen. Das ist keine politische Frömmelei, sondern der einzige Weg, der den Betroffenen wirklich hilft - und der sie davon abhält, Opfer skrupelloser Menschenhändler zu werden. Denn sie sind es, die die Opfer von Lampedusa auf dem Gewissen haben. Bis zu den Klippen des europäischen Asylrechts haben sie es nicht einmal geschafft.

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