,,Die Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen”

Saarbrücken · Die Generalintendantin des Saarländischen Staatstheaters (SST), Dagmar Schlingmann, wechselt 2017 nach Braunschweig. Sie habe sich nicht aus Unzufriedenheit wegbeworben, sagte sie gestern vor Medienvertretern. Kulturminister Commerçon sieht keinerlei Probleme, einen geeigneten Nachfolger zu finden.

Die Sonne schien dem saarländischen Kulturminister gestern auf dem Staatstheater-Vorplatz - wie auch der gesamten Kultur, da ist Ulrich Commerçon (SPD ) bombensicher und warnt vor "Dramatisierungen" der Situation. Die Opposition spricht von "Fluchtimpulsen" unter Kulturschaffenden (Klaus Kessler , Grüne) oder von unzumutbarer Finanz-Ungewissheit, ausgelöst durch eine fehlende Strukturplanung und Prioritätensetzung durch die Landesregierung (Oskar Lafontaine , Linke). Derweil gibt der Minister vor Kameras und Mikros den "No-Problem"-Mann. Der überraschende Weggang der Saarbrücker Theaterchefin Dagmar Schlingmanns 2017 nach Braunschweig - also bitteschön, eine Standardsache, nach elf Jahren! "Die Kultur lebt vom Wechsel", spricht Commerçon. Auch die Nachfolgersuche - "Man muss nicht mit einem Langweiler rechnen" - sei ein Klacks. Gerade habe die Abwerbung Schlingmanns gezeigt, welchen exzellenten Ruf das Haus genieße. Man werde problemlos Bewerber finden, so Commerçon. Denn das Kulturland Saar gelte als Karriere-Sprungbrett und Talentschmiede. Außerdem könne man sich komfortable zwei Jahre Zeit für die Neubesetzung lassen.

Der Minister trug gestern offensichtlich eine knallrosa Sonnenbrille. Geradezu unwillig reagierte er deshalb auf Befürchtungen, die Attraktivität eines Haushaltsnotlagelandes mit der Aussicht auf eine finanzielle Dauer-Wackelpartie halte sich für potenzielle Intendantenkandidaten doch wohl in Grenzen. Wieso denn?, fragt der Minister, es sei doch Konsens sozusagen in Landtagserz graviert: "Keiner will strukturelle Einschnitte in das Theater ." Und an der Kultur sei seit seiner Amtszeit nie gespart worden.

Im Theater aber dann doch, zumindest ein bisschen. Denn die einprozentige Tariferhöhung, die alle Landesgesellschaften in den nächsten zwei Jahren - und wer weiß, wie lange noch? - stemmen müssen, lassen seit dieser Spielzeit auch den Theateretat korrodieren. Die Intendantin, eben noch in inniger verbaler Umarmung mit ihrem Dienstchef, macht keinen Hehl daraus, dass sie den Umstand finanzieller Unsicherheit für eine Riesenhypothek bei der Nachfolger-Suche hält. "Diese Regelung muss wieder weg. Dafür werde ich in meinen letzten zwei Jahren kämpfen."

Zuvor hatte Schlingmann ihre Motivation erläutert. Es gab keine Ausschreibung für den Posten, sie bewarb sich nicht. Kein Dissens, keine Unzufriedenheit, treibt die geschätzte Theaterfrau also aus dem Saarland weg, für sie eine "Insel der Seligen". Vor etwa sechs Wochen kam eine gezielte Anfrage aus dem Norden, ein unwiderstehliches Angebot: mehr Geld, mehr Personal, mehr Spielstätten. Mitgeliefert wird eine anstachelnde Wettbewerbssituation mit den Theater-Bigplayern Hannover und Hamburg, in die Schlingmann sich "stürzen" möchte. Das Bessere ist nun mal des Guten Feind. Doch bleibt es gut am SST? Generaldirektor Nicholas Milton wurde gerade erst von Schlingmann bis 2018 berufen, ebenso Ballettchef Stijn Celis. Beide hält Schlingmann nicht für Abwanderungskandidaten, sondern als "stabilisierende Faktoren". Auch der kaufmännische Geschäftsführer Matthias Almstedt, dessen Vertrag 2017 endet, möchte bleiben. Doch der kreative Leiter der Sparte 4, Christoph Diem, steht schon auf der Verlustliste. Er begleitet seine Lebensgefährtin Schlingmann nach Braunschweig.

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Auf einen BlickDagmar Schlingmanns Inszenierungen am Saarländischen Staatstheater : Vor ihrer Berufung zur Intendantin: Baal/Brecht (1997), Macbeth/Shakespeare (1999), Kasimir und Karoline/Horvath (2001), Die Wildente/Ibsen (2005). In ihrer Intendantinnen-Zeit: 2006: Brassed Off; 2007: Jelinek/Bambiland, Verdi/La Traviata; 2008: Shakespeare/Sommernachtstraum, Molière /Menschenfeind, Rossini/Barbier von Sevilla; 2009: Goethe/Faust; 2010: Hebbel/Maria Magdalena , Shakespeare/Hamlet; 2011: Puccini/Madame Butterfly; 2012: Hauptmann/Die Ratten, Brecht/Kleinbürgerhochzeit; 2013: Verdi/Rigoletto, Brecht/Dreigroschenoper, Puccini/Tosca; 2014: Zola/Das Geld. Schlingmann (55) löst in Braunschweig Joachim Klement ab, der 2017 Intendant des Staatsschauspiels Dresden wird. Das SST leitet Schlingmann seit 2006/2007. Sie wurde mit Hilfe einer Findungskommission berufen. Schlingmann studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Köln, wurde als Regieassistentin und Dramaturgin geprägt von Tragelehn, Karge und Gottscheff. Seit 1986 arbeitet sie als Regisseurin. Zwischen 1998 und 2001 leitete sie die Sprechtheatersparte am Landestheater Linz, wechselte dann als Intendantin ans Theater Konstanz und von dort nach Saarbrücken . ce

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