Die Bachmann und ihr jüdischer Geliebter - eine bewegende Liebesgeschichte

Saarbrücken. Zweifellos eine literaturfähige Szene: Da verliebt sich eine Achtzehnjährige, Tochter aus einer Kärtner Nazi-Familie, im Juni 1945 in einen österreichischen Juden namens Jack Hamesh, der in englischer Uniform als Sieger in das Land seiner Kindheit zurückgekehrt ist

Saarbrücken. Zweifellos eine literaturfähige Szene: Da verliebt sich eine Achtzehnjährige, Tochter aus einer Kärtner Nazi-Familie, im Juni 1945 in einen österreichischen Juden namens Jack Hamesh, der in englischer Uniform als Sieger in das Land seiner Kindheit zurückgekehrt ist. Nachdem er ihr die Hand geküsst hat, klettert die Maturantin nachts auf einen Apfelbaum, heult und denkt, "ich möchte mir nie mehr die Hand waschen", wie sie ihrem Tagebuch anvertraut.

Der Leser der kaum zwanzig Druckseiten, die die Zeit vom Spätsommer 1944 bis Juni 1945 umfassen, erfährt Anrührendes über diese außergewöhnliche Liebesgeschichte der berühmten Autorin. Das zeigt schon jener im Tagebuch festgehaltene Moment, als Jack Hamesh "klein und eher hässlich" (lautet der erste Eindruck der Diaristin) im Büro der "Field Security Section" die junge Frau streng auf Deutsch ("mit einem Wiener Akzent") fragt, ob sie "Führerin" beim Bund Deutscher Mädel gewesen sei. Wahrheitsgemäß verneint Ingeborg Bachmann, die vor Scham kaum ein Wort herausbringt. Und rot anläuft, als ihr der Gedanke kommt, dass wohl alle im Dorf behaupten werden, nicht dabei gewesen zu sein: "Es ist ganz unverständlich, warum man auch rot wird und zittert, wenn man die Wahrheit sagt." Wenige Tage später sind die beiden ein Paar: der österreichische Jude, der 1938 als Achtzehnjähriger mit einem Kindertransport nach England kam, und die junge Frau, die sich innerlich schon früh von der "völkischen Gemeinschaft" distanziert hatte.

Es ist das Gespräch über bis eben noch verbotene Autoren wie Stefan Zweig oder Thomas Mann, das für kurze Zeit zu einer Brücke wird über den Abgrund, der die beiden trennt. Lange währt das Glück nicht. Jack Hamesh macht sich auf den Weg nach Palästina, wo sichseine Spuren verlieren. Ingeborg Bachmann hatte ihn wohl nicht gebeten zu bleiben.

Für Hamesh war die Begegnung mit Ingeborg Bachmann "kein bloßes Zusammentreffen", wie er in einem Brief betont, "für mich war es ein Beweis dass es trotz allem was auch über unseren beiden Völkern hereinbrach noch einen Weg gibt - den der Liebe und des Verständnisses." Seine Briefe sind die letzten, bewegenden Zeugnisse dieses kurzen Dialogs zwischen einem jüdischen Opfer und einem Kind aus dem Volk der Täter. Dem heutigen Leser erscheint er in der Tat "wie eine Nachkriegs-Utopie" (Herausgeber Hans Höller); seine untergründige Bedeutung für Bachmanns Leben und Werk kann kaum überschätzt werden.

Ingeborg Bachmann: Kriegstagebuch. Mit Briefen von J. Hamesh an I. Bachmann. Hrsg. und mit einem Nachwort von Hans Höller. Suhrkamp, 107 S., 15,80 €

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