Die Auster im Bett nebenan

Saarbrücken. Blum kämpft mit seinem Juraexamen, hält sich als Eisverkäufer so eben über Wasser, ist ob seiner Glatze und Korpulenz nicht gerade das, was man einen Romeo nennt und auch sonst eher die Zurückhaltung in Person. Blum ist es gewöhnt, dass andere auffallen und sich vergnügen, während er leer ausgeht und zuschauen muss. Einer, der zwar liebenswert ist, aber kein Liebhaber

Saarbrücken. Blum kämpft mit seinem Juraexamen, hält sich als Eisverkäufer so eben über Wasser, ist ob seiner Glatze und Korpulenz nicht gerade das, was man einen Romeo nennt und auch sonst eher die Zurückhaltung in Person. Blum ist es gewöhnt, dass andere auffallen und sich vergnügen, während er leer ausgeht und zuschauen muss. Einer, der zwar liebenswert ist, aber kein Liebhaber. Mit einem Wort: Der unscheinbare Blum ist eine typische Figur von Martin Bettinger.

Eine, die ihn schon lange, lange umtreibt. Genauso wie der Plot seines neuen Romans "Die Liebhaber meiner Frau", an dem er mit Unterbrechungen über zehn Jahre gearbeitet hat. "Ich kenne Plot und Figuren. Die eigentliche Arbeit besteht darin, die Sprache zu finden, die eine Geschichte transportiert", so hat Bettinger - auch mit Blick auf den nun beendeten Roman - vor sechs Jahren im Interview umrissen, woran er sich Tag für Tag abarbeitet: einen Ton, Stil, ein Erzähltemperament, eine szenische Bebilderung zu finden, die eine Geschichte zum Leben erwecken, sie plausibel, sie nachhaltig machen.

In "Die Liebhaber meiner Frau" findet Bettinger diese Sprache. Es ist eine Art Romankomödie geworden, leichtfüßig erzählt. Wie leicht hätte das schief gehen können: eine Geschichte zu erzählen, die tragikomisch sein soll, aber dann nicht das Zeug dazu hat. Dass es trotz einer abstrusen Beziehungskonfiguration funktioniert, liegt an Bettingers Gespür für Situationskomik, seinem Dialog-Talent und daran, dass er anders als in früheren Romanen - meist - der Gefahr entgeht, zu dick aufzutragen. Beiläufiger hat er lange nicht erzählt.

Ehemals war "Die Liebhaber meiner Frau" wohl als Gegenmodell zu Aristophanes' "Lysistrata" gedacht, in der sich Frauen Männern verweigerten, um Frieden zu erzwingen, wohingegen es bei Bettinger um erotisch matte Männer gehen sollte, die Frauen "in kriegerische Stimmung" versetzen, wie er 1999 bei einer Lesung aus dem damaligen Manuskript kolportierte. Heute verläuft die Geschichte anders: Seit Jugendtagen ist Blum in Laura verliebt, ohne es ihr je gezeigt zu haben. Also muss er erdulden, wie die nach einer Krebsoperation ein Aufbruchsgefühl Verströmende sich einen Liebhaber nach dem anderen ins Bett holt. Blum wohnt in einer Dreier-WG mit Laura und deren elfjährigen Sohn. "Mit dem Herzen geschieht da drüben ja nichts, nur so an der Außenseite der Haut", tröstet er sich. Blum kann warten, sein Herz ist seit 20 Jahren vergeben - seit er "ein kleines, trotziges Mädchen mit der Schultasche" sah: Laura.

Die kolportagehafte Beziehungssoap, die Bettinger aus diesen Unter-einem-Dach-Liaisons konstruiert, ist der bei weitem schwächste, berechenbare Romanteil. Natürlich unternimmt die ganze Sippschaft - Laura, ihre Liebhaber, verschrobene Nachbarn und Blum als Chauffeur - Kollektivausflüge, bei denen die Liebhaber die kuriosesten Unfälle erleiden. Umso erstaunlicher ist, dass der Roman trotz der realsatirisch überdrehten Passagen nicht auseinander fällt. Weil als retardierendes Element der erzählerische Ernst wirkt. Während die Nebenfiguren chargenhaft bleiben, sind Laura, Blum und Simon (Liebhaber vier) als Charaktere umso differenzierter gestaltet. So dass es im Grunde um "lauter kleine Traurigkeiten" geht und darum, woher das Licht kommt, das den einen erleuchtet und den anderen zeitlebens verschattet. Bettingers Subtext unter der munter abschnurrenden Lebenskomödie hinterfragt Attraktivitätsschablonen und das Falsch- und Versteckspiel sozialer Beziehungen. Da geht es dann nicht mehr um "jugendliche(s) Geflatter, sondern das höchste und gleichzeitig tödliche Glück, einem anderen rettungslos verbunden zu sein". Dass er darüber unterhaltsam zu schreiben weiß, macht Bettinger nicht zum literarischen Leichtgewicht.

Martin Bettinger: Die Liebhaber meiner Frau. Conte Verlag, 216 S., 14,90 €

Auf einen Blick

Wo Martin Bettinger in den nächsten Wochen im Saarland lesen wird:

8. Oktober: Thalia, Saarbrücken (20.15 Uhr); 13. 10.: Buchhandlung Friedrich, St. Ingbert (20 Uhr); 14. 10.: Buchmesse Frankfurt, Conte-Stand (14 Uhr) sowie am 15. 10.: Bücher König, Neunkirchen (19 Uhr); 3. November: Rohrbach, Archivraum der Heimatfreunde (18 Uhr); 8. 11.: Schulmuseum, Ottweiler (11 Uhr); 9. 11.: Gollenstein-Buchhandlung, Blieskastel (19.30 Uhr); 18. 11.: Kaffeehaus Ommersheim (20 Uhr) sowie am 24. 11: Stadtbücherei Merzig (19.30 Uhr). red

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