Die Attraktivität des Hässlichen

Saarbrücken

Saarbrücken. Gleich zur Linken stößt man auf ein gebrochenes Idyll Sebastian Meschenmosers (aus Mainz stammend, in Berlin lebend), dessen Gemälde vielleicht die größte Entdeckung der glänzenden Ausstellung "Schön ist was Anderes" im KuBa sind: ein Familienbildnis auf einer mit Farn bestandenen Waldlichtung, einen Vater mit seinen drei Kindern zeigend, die Töchter in rosa Kleidchen. Bis auf den Buben tragen alle Affengesichter, Abgründe inbegriffen. Auch von dem zweiten Gemälde Meschenmosers - ein Großformat, das ihn selbst in einem Salon neben einem Rehbock und zwei Rehen zeigt - geht eine irisierende Wirkung aus. Gedankengewittern gleich umgibt diese Bilder, die ein dunkles Spiel mit dem Harmlosen treiben, die Aura einer nicht greifbaren Bedrohlichkeit.Nicht nur im Falle Sebastian Meschenmosers erweist sich der raue, industriekulissenartige Charme der KuBa-Räume einmal mehr als Ausdrucks-Katalysator für nicht wenige Arbeiten der 27 ausgestellten Künstler. Als kämen sie hier ganz zu sich selbst. Weshalb man den Gedanken, dass eine Ausstellung wie diese ob ihres Potenzials und ihrer Bandbreite durchaus auch die höheren Weihen des Saarlandmuseums zu empfangen verdient hätte, schnell wieder verwirft.

Gegenüber von Meschenmosers Affenmenschen blickt man in die aus Wachs, Papier und Draht geformten aschgrauen Gesichter embryonenartiger Tiere mit tieftraurigen Blicken der Kölner Künstlerin Saskia Niehaus: Wandobjekte, die einen bei aller scheinbaren Abstößigkeit zu rühren wissen. Es sind nicht die einzigen Tiergestalten, denen man begegnet: Steigt man in den Keller hinab, nehmen einen dort Julia Aatz' Grubenpferde gefangen: Mehrere stumpfe, fahle Ölbilder, in denen die Saarbrücker HBK-Absolventin jene Pferde ins Gedächtnis ruft, die als Zugtiere in Bergwerken eingesetzt wurden und bei Aatz als Geschundene porträtiert werden. In einer der hintersten, dunklen Kellerecken hat Andrea Goost (Bonn) reptilienartige Formen zu einer rätselhaft bleibenden Installation übereinandergestapelt, als sei dies ein Stoß Felle, die Tieren abgezogen wurden. Eine Arbeit, die bei aller Reduziertheit eher Resonanzräume aufstößt als Christa Sturms bemüht wirkende Rauminstallation gegenüber, die unter einer skalpierten Pferdekopfabbildung zwei (mit roter Dispersionsfarbe) gefüllte Blutwannen zeigt und dazu Tropfgeräusche (und ein Video) einspielt, während im zweiten Raum vier Zeichnungen Sturms entstellte Fratzen zeigen, also wolle sie noch das Thema Versehrtheit anschlagen.

Vorbei an Irina und Jürgen Enss' etwas plakativer Rauminstallation "Schöne Grüße aus Semipalatinsk", die der radioaktiven Verseuchung in dem gleichnamigen russischen Atomwaffentestgelände mit der Wohnstube eines Paares in Gasmasken und gelben Putzhandschuhen ein sinnfälliges Gesicht gibt, steigt man wieder hinauf und trifft auf vier HBK-Meisterschüler. In der gefliesten früheren Großküche des alten Bahnschulungszentrums, das heute zur Sehschule geworden ist, füllt Mane Hellenthal eine Wand mit zehn Fotos, die jedes für sich wie eine biografische Leerstelle wirken. Gegenüber halten einen zwei Tuschemalereien auf Japanpapier von Johannes Lotz fest: ein amphibisch wirkender Mann und dazu ein hahnenartiges, gefiedertes Wesen mit einem an Max Beckmann erinnernden Kopf. Nebenan überrascht Leslie Huppert mit sehr feinen, vogelperspektivischen Zeichnungen, die Landminen ins Zentrum rücken, während im letzten Raum die malträtierten Boxgesichter der Malerin Juliana Hümpfner im Gedächtnis haften bleiben.

Ein Höhepunkt zuletzt ist Paole Leones Fotoserie "Devotione", in der er sizilianische Prozessionsszenen spiegelt, während Dr. Treznok (Thomas Richter) uns in einem sprachspielerischen Typographienbuch mit jedem Blatt "näue" Papiere an die Innenseite der Schädeldecke klebt oder Ulrich Behrs "Pistoletten für das Selbst" dazu auffordern, durch einen Vorhang aus von der Decke hängender Holzpistolen zu gehen, die sich wie von selbst gegen einen richten.

Ob "Schön ist was Anderes" - als Projekt in anderer Form bereits 2008 in Mainz und 2010 in Bonn erprobt und in der Saarbrücker Version von Mane Hellenthal, Ulrich Behr und Christa Sturm organisiert - am Ende als Themenausstellung auf- und durchgeht oder nicht, ist zweitrangig. Das Motto ist zwar so gehalten, dass sich alles darunter subsumieren lässt, doch legen tatsächlich viele Arbeiten die Ambiguität heutiger Schönheitsbegriffe frei: Das Hässliche ist die Negativform des Ästhetischen - und am Ende manchmal das eigentlich Attraktivere.

 Foto aus Paolo Leones Zyklus "Devotione", ein Gemälde von Johannes Lotz sowie eine Zeichnung aus Leslie Hupperts Serie "Landmines" (v.l.). Fotos: KuBa

Foto aus Paolo Leones Zyklus "Devotione", ein Gemälde von Johannes Lotz sowie eine Zeichnung aus Leslie Hupperts Serie "Landmines" (v.l.). Fotos: KuBa

 Großformatiges Gemälde Sebastian Meschenmosers, das ein dunkles Spiel mit dem Harmlosen treibt.

Großformatiges Gemälde Sebastian Meschenmosers, das ein dunkles Spiel mit dem Harmlosen treibt.

 Foto aus Paolo Leones Zyklus "Devotione" und ein Gemälde von Johannes Lotz (v.l.). Fotos: KuBa

Foto aus Paolo Leones Zyklus "Devotione" und ein Gemälde von Johannes Lotz (v.l.). Fotos: KuBa

Bis 7. Juli im Saarbrücker KuBa (Di, Mi, Fr: 14-17 Uhr; Do, Sa, So: 14-19 Uhr).

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