Deren Schicksal es war, eine Überlebende zu sein

Prag. Mit Büchern wie "Das Traumcaf& einer Pragerin" (1996) wurde die am 17. Mai 1916 geborene Grande Dame der böhmischen Literatur "eine Brücke zu einer verlorenen Welt", wie es ein Prager Diplomat gestern zutreffend umschrieb

 Mit ihren im Aufbau-Verlag erschienenen Büchern wie "Mandelduft" (1998) oder "Zuhause in Prag, manchmal auch anderswo" (2001) fand Lenka Reinerová auch in Deutschland treue Leser. Foto: dpa

Mit ihren im Aufbau-Verlag erschienenen Büchern wie "Mandelduft" (1998) oder "Zuhause in Prag, manchmal auch anderswo" (2001) fand Lenka Reinerová auch in Deutschland treue Leser. Foto: dpa

Prag. Mit Büchern wie "Das Traumcaf&; einer Pragerin" (1996) wurde die am 17. Mai 1916 geborene Grande Dame der böhmischen Literatur "eine Brücke zu einer verlorenen Welt", wie es ein Prager Diplomat gestern zutreffend umschrieb. Politiker und Künstler in Deutschland und Tschechien schätzten sie als herausragende Persönlichkeit für die Versöhnung beider Völker. Von einem Sturz im vergangenen Jahr erholte sie sich nicht mehr. Im Alter von 92 Jahren starb Lenka Reinerová am Freitagmittag in ihrer Prager Wohnung.

Deutsch zu schreiben, war für sie normal. "Es ist meine Muttersprache, denn meine Mutter war Deutschböhmin aus Saaz. Mein Vater war Tscheche aus Prag." Reinerová wurde 1935 Redakteurin der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, 1939 floh die Jüdin vor den Nazis nach Mexiko.

Während sie dort als Übersetzerin des "rasenden Reporters" Egon Erwin Kisch arbeitete, starben Eltern, Geschwister und alle Verwandten im KZ. Sie kehrte 1948 nach Prag zurück, saß 1952/53 als "politisch Unzuverlässige" 15 Monate im Gefängnis ("Es ist ein komisches Gefühl, wenn man von seinen eigenen Leuten abgeholt wird"). Danach durfte sie bis zur Wende von 1989 nur unter Pseudonym als Dolmetscherin arbeiten. Der bitteren Zeit im Gefängnis Prag-Ruzyne ist ihr persönlichstes Buch gewidmet: "Alle Farben der Sonne und der Nacht", hierzulande 2003 erschienen.

Sie habe wegen des Holocaust "lange gezögert, nach Deutschland zu fahren", sagte sie einmal. "Aber gegen Deutsch hatte ich nie etwas. Die Sprache ist unschuldig." Reinerová sprach einen Dialekt, den nach den europäischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts kaum mehr jemand beherrscht: Prager Deutsch. Nach Jahrzehnten unter totalitären Regimes kam sie nach 1989 endlich zu Ehren: Sie erhielt den Schillerring und die Goethe-Medaille sowie in Tschechien von "Dichterpräsident" Vaclav Havel die Verdienstmedaille. Am liebsten war ihr die 2002 verliehene Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt. Die Prager Literatur, verbunden mit Kisch, Rilke und Kafka ließ Lenka Reinerová nie los. So initiierte sie vor einigen Jahren das Prager Literaturhaus, das sich mittlerweile auch mit Unterstützung der Außenministerien in Prag und Berlin etabliert hat.

Lenka Reinerová selbst nannte sich "eine Erzählerin". Das Formen der Personen für ihre Geschichten gelinge ihr am besten beim Schlendern durch den Clammschen Garten in der Nähe ihrer Wohnung in Prag-Kosire, den schon Kisch beschrieb, ließ sie einen wissen. Ihre Texte tippte sie bis zuletzt auf einer alten mechanischen Schreibmaschine. Die deutsch-jüdisch-tschechische Symbiose, die es einmal in der Moldau-Stadt gegeben hat, sei verschwunden, sagte die Pragerin einmal ohne Bedauern. "Das ist mit meiner Generation beendet. Es gibt eben Phänomene, die lebendig sind, aber irgendwann ist deren Zeit vorbei." dpa

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