Der Vernebler des Vergangenen

Saarbrücken. Wer ein Leben wie Hermann Kant hinter sich hat, kann wahrscheinlich gar nicht mehr geradeaus schreiben. Wie viele menschliche und moralische Verfehlungen sich der Autor der "Aula" (1965) als staatstreuer Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR sowie als Mitglied des Zentralkomitees der SED hat zu schulden kommen lassen, möchte man besser gar nicht wissen

Saarbrücken. Wer ein Leben wie Hermann Kant hinter sich hat, kann wahrscheinlich gar nicht mehr geradeaus schreiben. Wie viele menschliche und moralische Verfehlungen sich der Autor der "Aula" (1965) als staatstreuer Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR sowie als Mitglied des Zentralkomitees der SED hat zu schulden kommen lassen, möchte man besser gar nicht wissen. Doch es gibt auch ein Leben nach der Wende. Drei schwache Romane hat Kant seitdem veröffentlicht. Gerade erschien der vierte. Er heißt "Kennung" und sorgt immerhin insofern für Aufsehen, als es sich dabei um einen Stasi-Roman handelt. Von Kant!

Wer Enthüllungen oder späte Geständnisse erwartet, wird enttäuscht. Alles in allem vernebelt er die Vergangenheit weiterhin mit gedrechselten Sätzen. Linus Cord ist "aufstrebender Kritiker" aus Ostberlin, als plötzlich einer dieser "unbekannten Vertreter des bekannten Unternehmens" vor der Tür steht und ihn nach seiner alten Kennungsmarke der Wehrmacht fragt. Cord fragt sich, verwirrt und geschmeichelt, warum die gerade ihn auserwählt haben? Weil er sich nach dem Krieg um ein Jahr jünger machte, um aus der russischen Gefangenschaft frei zu kommen? Weil er die Wurst, die er dem Freund an die Front bringen sollte, selbst verzehrte? Macht ihn das erpressbar?

Nicht nur der allwissende Erzähler lässt den Roman seltsam altmodisch erscheinen. Auch die umständliche Erzählweise und schwülstige Schachtelsätze sorgen dafür. Cord trinkt mit der Stasi Kaffee, lehnt den Teufelspakt aber ab. Statt dessen macht er sich aus eigenem Interesse auf den Weg nach Westberlin, um nach der Kennungsmarke zu forschen. Am Ende will die Stasi nur Druck ausüben, damit er ein Pamphlet gegen "allwissende Erzähler" aufsetze. Kants humoriger Tonfall will so gar nicht zur Stasi-Thematik passen. Will er sich als Widerstandskämpfer hinstellen?

Hermann Kant: Kennung. Aufbau, 250 Seiten, 19,95 €

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