Der Unterhalter mit Haltung

Saarbrücken · Mit Udo Jürgens Tod verschwindet der Schlagersänger aus Leidenschaft, jetzt regiert nur noch der Kommerz. SZ-Mitarbeiter Roland Mischke würdigt den außergewöhnlichen Sänger und Komponisten, der immer ein Star zum Anfassen sein wollte. „Die Menschen sollen den Konzertsaal glücklich verlassen“, formulierte Udo Jürgens seinen hohen Anspruch.

Im Zeitalter der "Hellenisten" ist es gar nicht so leicht zu ermessen, was für ein besonderer Künstler der so plötzlich verstorbene Udo Jürgens war. Vergleicht man ihn, der am 30. September 80 Jahre alt geworden war und noch vor wenigen Wochen auf seiner Tour die Massen begeisterte, mit der Aufsteigerin Helene Fischer , gibt es auffällige Unterschiede.

Nicht nur, dass Fischer niemals im Bademantel zur Zugabe auf die Bühne treten würde wie Jürgens es bis zuletzt tat. Es geht vielmehr um ein ganz verschiedenes Künstlerverständnis. "Mitten im Leben" hieß Jürgens letzte Tour, und das war ein treffender Titel. Wer diesen Sänger kennen lernte, merkte sofort im persönlichen Gespräch, dass er ein extrem menschenzugewandter Zeitgenosse war. Er sprach gern, hörte aber auch zu, fragte nach dem Befinden, wollte in allem wohl auch ein Feedback auf seine Musik haben - und bekam sie regelmäßig von seinen begeisterten Fans, die ihn auch berühren und umarmen durften. So liefen die letzten Auftritte nicht als Nostalgie-Show über die Bühnen, sondern als Kraftakt von einem, der aus Leidenschaft musizierte und sang.

Helene Fischer , der Superstar der Branche "Leichte Muse", hält nichts von so viel Menschennähe. Sie will eine Popdiva sein, eine Göttin, also auf Abstand. Selbst zum großen Kollegen. Ihr Geburtstagsständchen für Udo Jürgens , ihre eigene Version von "Merci, Cherie", wurde zelebriert vor knallroten Rosen, violetter Bodennebel umwaberte die Schöne im Wickelrock. Das Ständchen war Teil einer Show, die Fischer als Gesamtkunstwerk im Zentrum hat, der sich die Augen wischende Altstar war nur ein Anlass zur raffinierten Eigeninszenierung. Gut arrangiert und leidenschaftslos. Zu Udo Jürgens gewandt sagte sie: "Du hast die Menschen über viele Jahre begeistert...", dann wusste sie nicht weiter. Ein Moderator soufflierte: "...und berührt". Die 30-Jährige plapperte es nach. Die Szene war so peinlich, dass sie aus der Fernsehaufzeichnung geschnitten wurde. Helene Fischer redet nicht, sie singt. Das kann sie, und dabei soll es bleiben, befindet ihr Management. Die Sängerin scheut Interviews, überhaupt die freie Rede. Alles ist einstudiert, die Liedansagen für ihre Konzerte sind vorgeschrieben, sie hat sie auswendig gelernt. Im Fernsehen liest sie vom Teleprompter ab, die Abfolge ihrer Auftritte ist penibel durchorganisiert. So ist Fischer zur Schlagerikone geworden, sie hat die meisten Auftritte, die meisten Platten, ist derzeit allgegenwärtig, ein vom Feuilleton bedachtes Phänomen. Aber noch lange keine Königin der Herzen.

Bei Udo Jürgens haben viele gar nicht wahrgenommen im Schlagertaumel von "Griechischer Wein" oder "Siebzehn Jahr, blondes Haar", dass dieser Mann ein vehementer Kapitalismuskritiker war. Er stand auch diesbezüglich mitten im Leben, die Industrie, die ihn zum Multimillionär gemacht hatte, durchschaute er in späteren Jahren als Rattenfängerei. Er nutzte sie weiter - über 100 Millionen Alben hat er verkauft -, aber agierte auch zunehmend als moralische Instanz, als ein sozialkritischer Sänger, der nicht seinesgleichen hat im deutschsprachigen Popbusiness. "Griechischer Wein" zum Beispiel, das dürfte vielen Schunklern entgangen sein, handelt von der Verlorenheit der Gastarbeiter in Ländern, die kein Heimatgefühl boten. In "Lieb Vaterland ", bereits 1971 erschienen, sang er: "Lieb Vaterland , magst ruhig sein / die Großen zäunen ihren Wohlstand ein / die Armen warten mit leerer Hand."

Es ist nur Schlager , was dieser Mann unter Menschen brachte. Aber es war kein Kitsch, auch wo es überaus romantisch daherkam. Udo Jürgens , der sich vor allem als Komponist verstand, der international inspiriert war, geprägt durch das Chanson und amerikanische Vorbilder wie Frank Sinatra , Bing Crosby oder Sammy Davis Jr., hatte eine Botschaft: Musik soll gute Gefühle auslösen. Sie ist kein Schmiermittel des Kommerz, sie gehört mitten ins Leben. Diese Einstellung ist mit seinem Tod nun auch an der Reihe, dahinzugehen.

Wer Karten für das Udo Jürgens-Konzert am 11. März in der Saarbrücker Saarlandhalle hat, kann diese an den Vorverkaufsstellen zurückgeben.

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