Der „übliche Aufmarsch des Klischees“

Ein unfertiges, unzureichendes Manuskript zur Veröffentlichung freizugeben, kann einem Autor schaden. Wilhelm Genazinos Frankfurt-Erkundungen unter dem Titel „Tarzan am Main“ sind solch ein Fall.

Was Wilhelm Genazino auf seinen "Spaziergängen in der Mitte Deutschlands", so der Untertitel dieser Sammlung mit Miniaturen, zu Tage fördert, reicht nur selten an die originellen Stadtbilder seiner Romane heran. Genazinos Frankfurt-Erkundungen mit dem Titel "Tarzan am Main" wirken inkonsistent, ja notdürftig zusammengestoppelt. Reichlich unmotiviert mischen sie Erinnerungen des Autors an seine Mannheimer Kindheit und die Anfänge als Redakteur der linken Satirezeitschrift "pardon" in den 70ern (und später dann als Schriftsteller, dessen Karriere - wie wir erfahren - ausgerechnet in Saarbrücken begann) mit Momentaufnahmen heutigen Frankfurter Stadtlebens. Ob diese kursorischen Betrachtungen je als Buch erschienen wären, hätte der Autor nicht vor einigen Jahren den Büchnerpreis erhalten und so eine Art Genazino-Mode ausgelöst, darf bezweifelt werden.

Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass Genazino allmählich auf der Stelle tritt und sein lakonischer Episoden-Stil zur Masche wird, selbst wenn markante Nominalkomposita (für ihn typische Wortschöpfungen à la Peinlichkeitsresistenz, Zentralschrecken, Schulüberwindungsbedarf) noch Glanzlichter setzen. Auch wenn die meist nur zwei, drei Seiten langen Texte eher Gebrauchscharakter haben: Inhaltlich hätte man sich mehr Substanz gewünscht.

Fast entschuldigend heißt es da: "Das Umhergehen in vollständig kommerzialisierten Umgebungen macht uns zu Minimalisten des Sehens, die sich schon mit kleinen Entdeckungen zufriedengeben müssen." Genazino beklagt, dass das Frankfurter Rotlichtviertel nahezu aseptisch geworden ist, bemüht den längst selbst zum Klischee gewordenen Widerspruch von Bankenstadt und Eppelwoi-Seligkeit oder geißelt die Einkaufsmeile Zeil mit ihrer "Monokultur des schönen Scheins" als Hort abstoßender Konsumverfallenheit. Verschiedentlich betont er die Antigroßstädtischkeit des für ihn "fast betulich" wirkenden Frankfurter Stadtgebiets, streut ein paar Kurzporträts von Passanten (oder alten Bekannten) ein oder entwirft, als sei es das Exposé für einen neuen Roman, eine Frankfurter Pendler-Biografie - fertig ist die (Stadt-)Laube. Leider wirkt all dies unterm Strich, um ein Bonmot des Buches auf ihn selbst zu münzen, wie "der übliche Aufmarsch der Klischees".

Dennoch wird die ein oder andere neue Seite in Genazinos Mikrokosmos Frankfurt aufgeschlagen. Etwa wenn vom neuen Kompagnon seiner Überempfindlichkeit die Rede ist: "Altersreizung". Oder wenn er den eigenen Schreibprozess thematisiert und den Autor als das "Gefäß einer Reizung" bezeichnet, "für die er sich immer besser präparieren lernt" und damit seine produktive Abhängigkeit von umgebenden Eindrücken meint.

Wilhelm Genazino: Tarzan am Main - Spaziergänge in der Mitte Deutschlands. Hanser Verlag, 138 Seiten, 16 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort