"Der Traum der Linksextremen"

Hat der in Paris lebenslänglich einsitzende Carlos versucht, den Film zu verhindern?Assayas: Er hat versucht, über seine Frau, die auch seine Anwältin ist, Mitspracherecht am Buch zu bekommen. Wir lehnten ab, denn das ist absurd

Hat der in Paris lebenslänglich einsitzende Carlos versucht, den Film zu verhindern?

Assayas: Er hat versucht, über seine Frau, die auch seine Anwältin ist, Mitspracherecht am Buch zu bekommen. Wir lehnten ab, denn das ist absurd. Er hat nie die Wahrheit gesagt - warum sollte er ausgerechnet bei mir anfangen?

Was faszinierte Sie an dem Terroristen Carlos?

Assayas: Ich wollte die Rolle des Terrorismus in der internationalen Politik in den 1970er und 1980er Jahren zeigen. Carlos ist als Figur geheimnisvoller als die Baader-Meinhof-Gruppe und ihre Utopien. Carlos hat als Legionär, als kalter und narzisstischer Profi für verschiedene Geheimdienste gearbeitet. Und da keiner die ganze Wahrheit über ihn erfahren wird, bleibt er ein Rätsel. Mich hat die Entstehung dieses Mythos interessiert.

Warum konnten Sie ein solches Epos - mit 120 Schauspielern und Dreharbeiten in zehn Ländern - als Kinoregisseur nur mit Hilfe des Fernsehens auf die Beine stellen?

Assayas: Weil das französische Kino keine Filme finanzieren will, die in verschiedenen Sprachen und einer internationalen Besetzung gedreht werden. Solche Projekte fallen durch alle Raster des Filmförderungssystems. Aber im Fernsehen gibt es noch Oasen der Freiheit. Ich denke da an die Arte-Produktionen aber auch an Canal+. Alles hängt davon ab, dass der jeweils Verantwortliche an die Freiheit des Regisseurs glauben will oder nicht.

Von "Carlos - Der Schakal" gibt es nun eine fünfeinhalbstündige Version und eine 160-minütige Kurzfassung? Worin liegt der wesentliche Unterschied?

Assayas: Die kurze Version wirkt eher wie ein Action-Film, weil wir auf viele der Hintergründe - etwa zum Opec-Attentat - verzichten und auch die Figur von Carlos' Freundin Magdalena Kopp beschneiden mussten. Ich bin ganz zufrieden, aber jetzt wird mir jeder, der die lange Fernsehversion gesehen hat, sagen, was ich besser noch in die Kurzfassung hätte aufnehmen müssen.

Sie zeigen die Mechanik des Terrorismus der Siebziger Jahre. Könnte es eine Figur wie Carlos heute gar nicht mehr geben?

Assayas: Carlos ist der personifizierte Widerspruch, ein Star und ein Terrorist. Das ist absurd, denn als Terrorist muss man eine Schattenfigur sein, die im Dunkeln agiert. Carlos ist kein Terroristenführer, sondern ein Söldner, der im Auftrag verschiedener Geheimdienste handelt.

Inwieweit war Carlos das typische Produkt seiner Zeit?

Assayas: Die frühen Siebziger Jahre waren vor allem in Europa eine ganz besondere Periode. Nach dem Pariser Mai 1968 und den gewalttätigen Aufständen in der ganzen Welt, haben viele Menschen eine Revolution erwartet. Aber die linken Aktivisten merkten Anfang der Siebziger, dass es nicht dazu kommen wird. Genau in dieser Situation trat der 19-jährige Carlos, aus Lateinamerika kommend, auf den Plan, nachdem er mit den Palästinensern in Jordanien gekämpft und Anschläge in London organisiert hat: Er verkörperte die Phantasie der europäischen Linksextremen perfekt - er kämpfte weiter, während die anderen aufgegeben hatten.

Wurde dieser "Starstatus" Carlos zum Verhängnis?

Assayas: Ja, die Selbstverliebtheit hat ihn letztlich zu Fall gebracht. In gewisser Weise sitzt er heute im Gefängnis, weil er zum sichtbaren Gesicht des Terrorismus geworden ist.

Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Carlos und dem deutschen Terroristen Andreas Baader?

Assayas: Ja, beide sahen sich als glamouröse Rockstars, aber Carlos hat eine größere geopolitische Sicht auf die Zusammenhänge. Ich bin kein Baader-Spezialist, aber zumindest geht Bernd Eichingers Film nicht besonders auf die internationalen Verstrickungen der RAF ein. Ich wollte dagegen die internationalen Machtspiele als entscheidende Faktoren unterstreichen, mit denen man das "System Carlos" ein Stück weit verstehen kann.

Welche Reaktionen auf den Film erwarten Sie aus dem Mittleren Osten?

Assayas: Das ist schwer zu sagen, aber ich werde meinen nächsten Urlaub sicher nicht in Syrien verbringen.

"Carlos - Der Schakal" startet in der Camera Zwo (Sb).

Auf einen Blick

Die anderen neuen Filme: Es ist keine schlechte Kino-Woche - neben dem herausragenden "Carlos" zeigt die Saarbrücker Camera Zwo den utopischen Film "Die kommenden Tage": Regisseur Lars Kraume erzählt ein Schwestern- und Politdrama aus dem Jahr 2020, in dem ein neuer Golfkrieg um die letzten Ölreserven tobt und sich Europa gegen Flüchtlingsströme mit einem Schutzwall zur Wehr setzt. In "Buried - lebendig begraben" (Cinestar, Sb) wagt Regisseur Rodrigo Cortes ein Experiment, denn sein bedrückender Film hat nur einen Schauplatz - das Innere eines Sarges, in dem ein Mann (Ryan Reynolds) mit Taschenlampe und Mobiltelefon aufwacht, ohne eine Ahnung, wie und warum er dort hingekommen ist. Einen weiteren Krimi zeigt das Saarbrücker Filmhaus: "Im Schatten" von Thomas Arslan folgt dem Gangster Trojan bei seinen Raubzügen - ein kühl und sparsam erzähler, spannender Film. Um Raubzüge geht es auch im Actionfilm "Takers" (Cinestar, Sb) von John Luessenhop: kompetente, überdurchschnittliche Genre-Kost. red

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