Der Streit ums Minarett spaltet die Eidgenossen

Genf. Noch nie haben die Bürger eines europäischen Landes über solch eine Frage abgestimmt: Soll der Bau von Minaretten verboten werden? Die Schweizer entscheiden darüber an diesem Sonntag. Bei der Volksabstimmung zwischen Basel und Chiasso geht es aber nicht nur um Moschee-Türme

Genf. Noch nie haben die Bürger eines europäischen Landes über solch eine Frage abgestimmt: Soll der Bau von Minaretten verboten werden? Die Schweizer entscheiden darüber an diesem Sonntag. Bei der Volksabstimmung zwischen Basel und Chiasso geht es aber nicht nur um Moschee-Türme. Es geht auch um ein "Plebiszit über den Islam in der Schweiz", wie der Zürcher "Tages-Anzeiger" schreibt. Das Ergebnis könne Gradmesser für die Integration der rund 400 000 Muslime in die Eidgenossenschaft sein.Seit Monaten beherrscht eine Debatte über Religion, Toleranz, Terrorismus und Islamisierung das Land. Angestoßen wurde die Volksabstimmung von einer Gruppe rechtsgerichteter Politiker. Unterstützt wird die Anti-Minarett-Initiative von der größten Partei des Landes, der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Fast alle anderen Parteien, die Regierung, das Parlament und die Kirchen stehen auf der Seite der Muslime. Auch die Wirtschaft sorgt sich um den Ruf der Schweiz als offenes Land. Einer der Wortführer im Kampf gegen Minarette, der SVP-Abgeordnete Walter Wobmann, warnt: "Die Befürchtung ist groß, dass den Minaretten der Gebetsrufer, der Muezzin, folgen wird." Und nach dem Muezzin droht in Wobmanns Vorstellungswelt die Scharia. Was das bedeutet? "Scharia, also islamisches Recht, beinhaltet unter anderem Ehrenmorde, Zwangsehen, Beschneidungen, das Tragen der Burka, die Missachtung von Schulvorschriften, ja sogar Steinigungen." Das Schweizervolk müsse sich wehren, fordern die Hardliner. Tatsächlich errichteten die Muslime seit 1962 erst vier Minarette in der Schweiz, der Bau eines weiteren Turms ist bewilligt.Damit die Eidgenossen die Botschaft auch richtig verstehen, hängt in vielen Städten und Gemeinden das berüchtigte "Raketen-Plakat" der rechten Initiative. Links steht eine schwarz verhüllte Frau, daneben ragen Minarette wie Raketen in den Himmel. Ihre Schatten bedecken eine Schweizer Fahne. Das Poster sorgt bei den Gegnern der Initiative für Empörung, selbst Menschenrechtsexperten der Uno rügen die "Provokation". Viele Muslime beobachten die schrille Kampagne mit Angst. "Es ist vor allem eine Diskriminierung all jener Muslime, die sich im gesellschaftlichen und interreligiösen Dialog engagieren", sagt Hisham Maizar, Präsident der Föderation islamischer Dachorganisationen. Viele Muslime vermuten zudem, dass die Minarett-Gegner eine langfristige Strategie verfolgen. So meint der Imam der Genfer Moschee, Youssef Ibram: "Erst sind es die Minarette, dann sind es die Moscheen, dann die Muslime." Bislang haben die Minarett-Gegner keine Mehrheit hinter sich. Nach Umfragen überwiegt die Zahl der Eidgenossen, die ein Minarettverbot ablehnen. Die Muslime fürchten sich dennoch. "Wenn nur fünf Prozent der Schweizer das Verbot der Minarette verlangen. ist das eine Niederlage für uns. Es würde zeigen, dass wir Muslime in der Schweiz nicht willkommen sind", sagt Ibram. Ein Forschungsprojekt an der Universität Bern, das die Rolle religiöser Minderheiten in den vergangenen 50 Jahren untersuchte, kommt zu einem überraschenden Befund. Bei 15 Volksentscheiden zu religiösen Themen wurden auf Kantonsebene alle Vorlagen angenommen, bei denen es um christliche und jüdische Gemeinschaften ging. Drei Abstimmungen, die eine Besserstellung der muslimischen Minderheit betrafen, wurden abgelehnt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Angesichts des neuen Fußball-Wettskandals mag die "Financial Times Deutschland" nicht auf Gegenmaßnahmen vertrauen: Schon zu Hoyzers Zeiten war klar, dass sich das Problem nicht national oder europäisch beseitigen lässt. (. . .) Da mag hierzulan
Angesichts des neuen Fußball-Wettskandals mag die "Financial Times Deutschland" nicht auf Gegenmaßnahmen vertrauen: Schon zu Hoyzers Zeiten war klar, dass sich das Problem nicht national oder europäisch beseitigen lässt. (. . .) Da mag hierzulan