Der Stellvertreterkonflikt

Meinung · Nein, diesen Gefallen werden wir Kim Jong-il nicht tun! Mit seinen jüngsten Provokationen will Nordkoreas Diktator der Welt Angst vor einem neuen Korea-Krieg machen. Er möchte, dass man ihm jeden Wahnsinn zutraut, selbst den Einsatz von Atombomben. Denn nur, wenn das Ausland Kim fürchtet, macht es ihm die Zugeständnisse, die er braucht, um sein Regime am Leben zu halten

Nein, diesen Gefallen werden wir Kim Jong-il nicht tun! Mit seinen jüngsten Provokationen will Nordkoreas Diktator der Welt Angst vor einem neuen Korea-Krieg machen. Er möchte, dass man ihm jeden Wahnsinn zutraut, selbst den Einsatz von Atombomben. Denn nur, wenn das Ausland Kim fürchtet, macht es ihm die Zugeständnisse, die er braucht, um sein Regime am Leben zu halten.Obwohl der Konflikt zu eskalieren scheint, ist Pjöngjangs Kriegsdrohung ein Bluff. Kim hat oft genug bewiesen, dass er zwar grausam ist, aber nicht irre. Und selbst wenn ihn Alter und Krankheit um den Verstand gebracht haben, so weiß doch immer noch der Rest der nordkoreanischen Elite, dass ein Krieg gegen die USA politischer Selbstmord wäre.

Nordkoreas Spiel mit den Großmächten funktioniert, weil der Streit um Pjöngjangs Atomprogramm zu einem Stellvertreterkonflikt geworden, an dem die Bruchstellen der neuen Weltordnung sichtbar werden. Auf der einen Seite steht die alte Supermacht USA mit ihren Verbündeten Südkorea und Japan, auf der anderen das neue Schwergewicht China, und am Rande erinnert auch Russland an seine Ansprüche. Theoretisch wäre es für die Parteien ein Leichtes, das Pjöngjang-Problem aus der Welt zu schaffen. Doch die Lösung scheitert an geostrategischen Interessen und nationalen Eitelkeiten.

Bei jeder friedlichen Lösung des Konflikts wären alle großen Mächte Verlierer. Für Washington ist die Verteidigung der innerkoreanischen Grenze die stärkste Rechtfertigung für ihre massive Militärpräsenz vor den Grenzen Chinas und Russlands. Müssten sich die USA aus Südkorea zurückziehen, könnte sich vor allem China als Gewinner fühlen, dessen Aufrüstung im Pentagon als die größte Gefahr für die US-Vorherrschaft in der Region gilt. In Peking wiederum geht man davon aus, dass es eines Tages zu einem militärischen Konflikt kommen könnte - doch soll dieser so lange wie möglich hinausgezögert werden. Denn die Zeit spielt für die Volksrepublik, deren Einfluss wächst und deren Militär aufholt. Für die Zwischenzeit sind Chinas Generäle froh, mit Nordkorea einen Puffer zu den US-Truppen zu haben.

Auch Russland hat ein Interesse daran, Nordkorea als Pufferstaat zu behalten. Ebenso wenig will man in Russland aber, dass Nordkorea ganz an China fällt. Die sich zuspitzende Rivalität zwischen China und den USA ist jedenfalls im russischen Interesse, und der Korea-Streit eine Möglichkeit, das Spannungspotenzial zu erhöhen. Für Kim Jong-il ist dies eine komfortable Konstellation. Solange sich die Großmächte nicht einigen, geht der Konflikt, der seine Herrschaft am Leben hält, weiter - ein trauriges Stück Realpolitik.

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