Das Comeback des Sigmar Gabriel Der Sprunghafte ist plötzlich wieder wichtig

BERLIN (dpa) Sigmar Gabriel hatte längst angefangen, sich mit seinem Bedeutungsverlust abzufinden. „Ich war immer verliebt ins Machen. Jetzt merkt man: Du wirst nicht mehr gebraucht“, sagte der Außenminister noch Anfang November in einem „Zeit“-Interview. In den Wochen nach der verlorenen Bundestagswahl redete er sich und anderen zwar immer wieder ein, dass das wichtigste politische Amt in Deutschland das des einfachen Abgeordneten sei. Aber so ganz überzeugt klang das nie. „Was mir fehlen wird, ist die Aufgabe“, räumte er offen ein.

Sigmar Gabriel ist derzeit viel in der Welt unterwegs, hier Ende November in Washington.

Sigmar Gabriel ist derzeit viel in der Welt unterwegs, hier Ende November in Washington.

Foto: dpa/Gregor Fischer

Jetzt ist auf einmal alles wieder da: die Aufgabe, die Bedeutung und sogar eine langfristige Perspektive. Gabriel kann wieder machen. Er ist nicht mehr nur bloß der „scheidende Außenminister“, sondern hat keine schlechten Chancen, in einer neuen Bundesregierung sein eigener Nachfolger zu werden. Wie kaum ein anderer profitiert er vom Scheitern der Jamaika-Sondierungen.

Am Dienstag hielt der frühere SPD-Chef in Berlin eine Rede, die durchaus als Bewerbung für eine weitere Amtszeit verstanden werden konnte. Es ging um nicht weniger als die Neuausrichtung des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten. Gabriel sprach den USA eine weltpolitische Führungsrolle ab und nannte sie stattdessen einen „Kombattanten auf dem Sandplatz“. Er plädierte für mehr europäische Unabhängigkeit, mehr Selbstbewusstsein auf der Weltbühne. Schon nach dem desaströsen G7-Gipfel mit Donald Trump auf Sizilien im Mai hatte Gabriel gesagt, die USA seien „kein wichtiges Land mehr“. Die Position war also nicht neu. Dass er aber als „nur noch“ geschäftsführender Außenminister so über die großen Linien der Außenpolitik spricht, ist trotzdem bemerkenswert.

Das Selbstbewusstsein rührt vielleicht auch daher, dass der Vizekanzler derzeit mit Abstand der wichtigste Minister in der Rumpf-Regierung von Angela Merkel (CDU) ist. Während die Innenpolitik brach liegt, nimmt sich die Außenpolitik keine Auszeit für eine stockende Regierungsbildung. Merkel kann sich seit der Wahl nur noch sehr eingeschränkt darum kümmern. Gabriel hat Zeit, reist viel, und sagt Sätze wie: „Jeder weiß, dass Deutschland ein stabiles Land ist.“ Alleine in den letzten drei Wochen war er in Bangladesch, Myanmar, Afrika, Russland, in den USA und Frankreich. Der 58-Jährige hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er als Außenminister einen Traumjob gefunden hat. Mit seiner undiplomatischen Art hat er einen neuen Stil in die Außenpolitik gebracht, sich international Respekt erarbeitet und ist in der Rangliste der beliebtesten Politiker in ungeahnte Höhen aufgestiegen.

Dass er gerne weitermachen würde, ist kein Geheimnis. Ob ihn seine Partei lässt, wenn es zu einer großen Koalition kommt, ist eine andere Frage. Gabriel hat es sich mit seinem sprunghaften Agieren als Parteichef und seinen Alleingängen mit vielen verscherzt. Sein Verhältnis zu Fraktionschefin Andrea Nahles ist – vorsichtig gesagt – schwierig, das zu Parteichef Martin Schulz angeschlagen.

Schulz könnte Gabriel von seinem Posten verdrängen oder die SPD könnte zugunsten des Finanzministeriums auf das Außenamt verzichten. Dann wiederum wäre Gabriel ebenfalls ein Kandidat für dieses Amt. Allen Fragen nach seiner politischen Zukunft weicht Gabriel derzeit aus. Und auch aus der Diskussion über eine große Koalition hält er sich heraus. Auf dem heutigen SPD-Parteitag wird er deswegen wohl eher schweigen – und genießen, wenn die Delegierten für Gespräche mit der Union votieren.

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