Der Sisyphos aus Kolumbien

Sisyphos muss man sich gemessen an den Trägern des Friedensnobelpreises in der Tat als glücklichen Menschen vorstellen. Izchak Rabin wurde kurz nach der Auszeichnung erschossen, der Nahostkonflikt ging weiter. Barack Obama , so hoffnungsvoll gestartet, zerrann die Befriedung der Welt zwischen den Fingern. Mohammed El-Baradei muss erleben, dass die Ausbreitung von Kernwaffen nicht gestoppt ist. Die Kräfte des Krieges, des Hasses und der Konfrontation scheinen immer wieder die Oberhand zu gewinnen. Wo endlich ein Friede erreicht ist, hält er nicht lange. Die Auszeichnung von Juan Manuel Santos ist dafür besonders beispielhaft. Denn das von ihm ausgehandelte Abkommen mit den kolumbianischen Farc-Rebellen ist gescheitert, bevor der Nobelpreis überreicht werden konnte.

Der Krieg ist eine vielköpfige Hydra. Mal halten ihn wirtschaftliche Interessen am Leben, mal Ideologien, Religionen und ethnische Konflikte, mal der Terror einzelner Gruppen. Oder eben, wie jetzt in Kolumbien, die Rache. Eine hauchdünne Mehrheit des Volkes zog sie der Versöhnung vor. Die Auszeichnung von Santos ist keine Belohnung für einen historischen Erfolg, sondern für einen historischen Versuch. Sie ist für die Konfliktparteien ein Ansporn, den Friedensprozess trotz der Niederlage beim Referendum nicht aufzugeben. Hier wirkt das Komitee in noch laufende Prozesse ein und wählt den Preisträger sogar genau mit dieser Absicht aus. Nicht zum ersten Mal. Auch Willy Brandts Nobelpreis 1971 fiel in eine ähnliche Phase. Seine Ostpolitik war im Land hochumstritten, er selbst wurde genau wie jetzt Santos als Landesverräter angegriffen. Das wurde mit der Auszeichnung dann weniger.

Auch die Arbeit des Nobel-Komitees selbst ähnelt der von Sisyphos. Jedes Jahr eine neue Entscheidung, jedes Jahr neue Aufwallung und Kritik. In der Tat kann man einwenden, dass die Auswahl die höchst subjektive Sicht westlich geprägter Leute ist. Ein afrikanisches Komitee würde eine ganz andere Auswahl treffen. Das stimmt, aber trotzdem bewegt die Auszeichnung etwas, werden die Ausgezeichneten bewundert, geht ihr Beispiel um die Welt. Angela Merkel oder die griechischen Flüchtlingshelfer hätten den Preis in diesem Jahr genauso verdient gehabt. Als Zeichen dafür, dass es einen empathischen Umgang mit dem globalen Flüchtlingsproblem gibt, nicht nur abweisende Kälte. Die syrischen Weißhelme hätten ihn ebenfalls verdient gehabt. Als Vorbild für Menschen, die selbst im Schlachthaus dieses Krieges die Humanität aufrechtzuerhalten suchen.

Es kann aber immer nur einen Preisträger geben. Santos, der für den Moment zurückgeworfene, aber noch nicht gescheiterte Friedensmacher, ist eine gute Wahl. Weil er es immer weiter probieren wird. Wie Sisyphos.

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