Der „produktive Verunsicherer“

Saarlouis · Der Berliner Konstantin Ames gilt als einer der kreativsten jungen Vertreter der experimentellen Poesie. Am Montag stellt der gebürtige Saarländer seine Gedichte in der alten Heimat vor. Eine Begegnung.

 Porträt mit „altem Postsack“ auf dem Kopf: Konstantin Ames in Saarlouis. Foto: Oliver Dietze

Porträt mit „altem Postsack“ auf dem Kopf: Konstantin Ames in Saarlouis. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Soll sie nun auf den Kopf oder nicht? Konstantin Ames zieht eine Schirmmütze aus der Jackentasche und knetet sie unschlüssig in den Händen. Fototermin am Saarufer in Saarlouis , jener Stadt, in der Ames als Jugendlicher so viel Zeit verbrachte. Zögern. "Am besten wir machen ein Bild mit und eines ohne Mütze", sagt er schließlich. Stunden später kommt die Mütze, ein "umgenähter alter Postsack", dann nochmal ins Spiel. Als der 34-Jährige über seine Profession, das Dichten, spricht, über die zeitgenössische Literatenszene und ihren Hang zum Narzissmus. Die Schirmmütze habe auch irgendwie zu tun mit dem "Drang zum Alleinstellungsmerkmal", den er mittlerweile gar nicht mehr so sehr verspüre. Daher die Ambivalenz.

Einen Drang zur Selbstdarstellung kann man bei Konstantin Ames während eines gemeinsamen Vormittags in einem Saarlouiser Café jedenfalls nicht feststellen. Im Gegenteil. Unaufgeregtheit, Aufgewecktheit, Eloquenz sind Attribute, die besser passen. Und eine verblüffende Bescheidenheit. Obgleich Ames allen Grund hätte, ein wenig dicker aufzutragen. Denn wenn der gebürtige Völklinger dieser Tage aus der Wahl-Heimat Berlin ins Saarland zurückkehrt, tut er dies als ein weit über die Berliner Lesebühnen hinaus gefeierter Nachwuchs-Poet, als einer, dem die FAZ "hochkarätige Lyrik" attestiert, der etliche Förderpreise und Stipendien abräumte, in renommierten Zeitschriften publiziert und als Mitherausgeber des Online-Literaturmagazins karawa.net selbst Poesie kuratiert. Gerade erst wurde Ames für seine Lyrik mit einem der begehrten Venedig-Stipendien des Kulturstaatsministerium für seine Lyrik ausgezeichnet. Wobei er den Begriff eigentlich gar nicht mag. Lyrik - das klinge zu sehr nach "hohem Tonfall". Dabei könne man heute doch problemlos von Hölderlin zu Bukowski schwenken, sagte er. Lieber spricht er von "Poesie".

1979 in Völklingen geboren, wächst Ames als Einzelkind in der kleinen Saargau-Gemeinde Bedersdorf auf. Die dörfliche Enge ist ihm schon früh unangenehm. Ein frühreifer Poet ist er nicht. Mit 15 liebt er vor allem "das Zocken am PC". Und doch ist es auch das Alter, in dem sein Interesse für Literatur geweckt wird. Morgensterns "Galgenlieder" seien ein Erweckungserlebnis gewesen, erzählt er. Ebenso Brecht, später Jandl. Er beginnt, selbst zu schreiben: "brutalst-mögliche Naturlyrik", streng in der Form, im Duktus "bieder, egozentrisch", wie er heute findet.

Mit einfachen Kreuzreimen hat Konstantin Ames längst nichts mehr zu tun. Seine Gedichte gleichen klanghaft schillernden Sprachgebäuden, mal verwinkelt, mal klarer konturiert. Erbaut mit feinem Sinn für Rhythmus und einem geradezu unbändigem Spieltrieb, was das Rohmaterial Wort betrifft: Er zerlegt, reichert an, bläht auf oder lässt Luft raus, jongliert, knetet und setzt neu zusammen. Sprachkunst. Als Selbstzweck? Nein, sagt er. Vielmehr legt Ames Fährten aus, "Anknüpfungspunkte", wie er sagt. Poesie sei für ihn "Kommunikation", eine "Mitteilung, wenn auch keine direkte, zweckgerichtete". Unverständnis als Publikumsreaktion kennt er, häufiger jedoch Überraschung. Am liebsten sei ihm, sagt er nach kurzer Überlegung, ein Gedicht löse "produktive Verunsicherung" aus.

Als Ames nach dem Abitur das Saarland verlässt, empfindet er den Schritt als "Befreiung". Über den Umweg Greifswald landet er in Leipzig, wo er Philosophie, Komparatistik, Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert und am Deutschen Literaturinstitut aufgenommen wird, einer Art Literaten-Brutstätte, die schon Autoren wie Juli Zeh oder Clemens Meyer hervorbrachte. Ja, eine gewisse Skepsis gegenüber Schreibschulen hege er bis heute, sagt er. Doch zumindest sei man dort gut auf all die "Scheußlichkeiten des Literaturbetriebs" vorbereitet worden. 2010 zieht Ames schließlich nach Berlin-Kreuzberg, wo er heute mit seiner Frau und einem zweijährigem Sohn wohnt - wenn die junge Familie nicht gerade wie jetzt zu Besuch in Bedersdorf ist. Für Ames ein Stück Identitätssuche, die - das spürt man - keine Koketterie ist. So verwundern denn auch die Ausflüge ins Moselfränkische in seinen jüngsten Gedichten (wie dem hier abgedruckten "Zuß-Saarlouis, dabb-ba") kaum.

Auch Ames' vorerst größtes Projekt ist mit dem Saarland verknüpft: sein erster Roman. Im Herbst 2015 soll er fertig sein und von der ersten deutsch-deutschen Städtepartnerschaft - zwischen Saarlouis und Eisenhüttenstadt - handeln. Schreiben über Saarlouis - will da einer das Primat Alfred Guldens in Frage stellen? Ames lächelt. "Nein, aber ich werde mich wohl trotzdem an ihm messen lassen müssen".

Am Montag, 20 Uhr, liest Ames im Saarländischen Künstlerhaus in Saarbrücken aus dem Poesiebuch "sTiL.(zwi) Elegientraumen", das 2015 erscheint.

Zuß-Saarlouis, dabb-ba Gehen in gewissenhafter Nacht, in Büschen

wo Angst schön sich bäumt, da, Tôhpbàdd, hoch leuchten Träume

weit. Belecken lassen die aufgeschwitzte Lüge

die Zungenpatzer schwülen die Lüfte aufm Platzdarm

Halblind ist doppelt sowenig Schmutz in die Welt sehbar.

So viele Mauern und kein Talent zum Knäuel, das so wichtig

für die Ernte ist. Miau, Marschall, unn hall dei Schniss!

Schwermut findschde in Dillingen, Stummstrôß, sagt Saal-Louis

Dissnpack Akne Vorfett! wusste Leutnant von Wacker schon

Silberherzstraße ichchen Vaubaninsel ichchen kiwiw Halwer

Mond. Verjetzter Reiter, nie duzen sich Wände in den Kasematten

schwellender. Schwellendes

Ich

wow

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