Der Polit-Pate Berlusconi hat sein Land betäubt

Rom · Silvio Berlusconi ist ein rechtskräftig verurteilter Straftäter. Drei italienische Gerichte befanden den 76-Jährigen wegen Steuerbetrugs in Millionenhöhe für schuldig.

Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt - und dennoch hält der viermalige Ministerpräsident sein Land weiter in Schach.

In jeder anderen westlichen Demokratie hätte ein letztinstanzlicher Richterspruch den Rücktritt des Verurteilten zur Folge. Besonders ein gegen das Gemeinwesen gerichtetes Delikt wie Steuerhinterziehung wäre das Ende einer politischen Laufbahn. Nicht so in Italien. Berlusconi, der weiter seinen Sitz im italienischen Senat beansprucht, hat seine Landsleute in den vergangenen 20 Jahren schrittweise verändert. Das Ergebnis: Ohne öffentlichen Aufschrei kann der Verurteilte nun gegen die angebliche politisch-juristische Verschwörung schwadronieren. Der kriminelle Clown bestimmt weiter die politische Agenda.

Ob Berlusconi wirklich von seiner Unschuld überzeugt ist, spielt gar keine Rolle. Schon als Ministerpräsident verteidigte er Steuerhinterziehung, sein Hang zur Illegalität ist bekannt. Signifikant ist vielmehr, dass Berlusconis Anhänger zwei Kategorien gegeneinander ausspielen, nämlich Recht und Popularität. Sie behaupten, die Justiz könne nicht einen Politiker aus dem Spiel nehmen, der die Stimmen von zehn Millionen Italienern repräsentiert. Diese Logik zeugt vom Schwund des demokratischen Rechtsstaats, in dem Judikative und Exekutive unabhängig voneinander agieren können müssen.

Berlusconi beruft sich auf Vaterlandsliebe und Verantwortung, wenn er den Fortbestand der Regierung verordnet, die von seiner Partei "Volk der Freiheit" (PdL) mitgetragen wird. Das Gegenteil ist der Fall. Diese verantwortungslose Hängepartie könnte Italien im Herbst auch wirtschaftlich teuer zu Stehen kommen. Das Land ist mit über 1,2 Billionen Euro Staatsschulden ein finanzpolitischer Wackelkandidat. Heftige Reaktionen an den internationalen Finanzmärkten sind nicht ausgeschlossen.

Dass der Straftäter Berlusconi seine Interessen auf Kosten Italiens überhaupt weiter verfolgen kann, hat verschiedene Gründe. Da ist etwa die vollständig von ihrem Gründer abhängige PdL. Die Partei verfügt nicht über echte demokratische Strukturen, Berlusconi hat die Bewegung im Stil einer Firma organisiert. Er hat sie selbst ins Leben gerufen, er bestimmt ihren Namen und Sekretär. Mit der PdL verfügt Italiens reichster Unternehmer über einen selbstfinanzierten Apparat zur Vertretung eigener Interessen, sie ist das Vehikel für seinen politischen Überlebenskampf.

Auch der Effekt des von Berlusconi ausgelösten medialen und kulturellen Umschwungs ist nicht zu unterschätzen. Er hat das italienische Privatfernsehen monopolisiert, und im Verlauf von 20 Jahren setzte sich etwa die von seinen Sendern gebetsmühlenartig wiederholte Botschaft einer parteiischen Justiz in vielen Köpfen fest. Doch auch die meisten Berlusconi-Gegner haben sich mit den bestehenden Verhältnissen abgefunden. Nicht Empörung oder Proteste sind ihre Reaktion auf das unwürdige Spektakel des Paten der italienischen Politik. Viele von ihnen sind vereint in einer Art Murmeltier-Reflex, einem auch gedanklichen Rückzug ins Private. Angesichts eines schlecht funktionierenden Gemeinwesens und unwürdiger politischer Vertreter in allen Lagern reagieren zahlreiche Italiener mit Desinteresse. Womöglich wachen sie erst auf, wenn es schon zu spät ist.

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