Der persönliche Blick: Zum 90. Geburtstag von Dieter Wellershoff

Saarbrücken · Auch wenn er nie den Erfolg eines Böll, Walser oder Grass hatte, zählt Dieter Wellershoff zu den großen deutschen Autoren. Nun feiert er seinen 90. Geburtstag, höchste Zeit für eine Würdigung.

Für Heinrich Böll schmuggelte er Zigaretten ins Krankenhaus. Bei den Streithähnen Rolf Dieter Brinkmann und Günter Herburger ging er dazwischen, wenn die bei einer Party wieder aneinander gerieten und handgreiflich zu werden drohten. Dem Autor Günter Steffens rettete er sogar das Leben: Nachdem Steffens ein paar Tagen lang nichts hatte von sich hören lassen, ging er zu ihm und fand ihn beinahe erfroren in der ungeheizten Wohnung, vollgepumpt mit einer Überdosis an Schlafmitteln.

Dieter Wellershoff war nicht nur als Lektor bei Kiepenheuer & Witsch für die anderen da. Auch als Schriftsteller ist er immer bescheiden geblieben und ordnet sich seinen Figuren unter. Sich selbst zu inszenieren, war nie sein Ding. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er nicht mit Heinrich Böll , Günter Grass oder Martin Walser in einem Atemzug genannt wird. Sein an die 50 Veröffentlichungen umfassendes Werk würde das ohne Zweifel rechtfertigen. Er ist einer der ganz Großen. Bis zum Erfolg des Bestsellerromans "Der Liebeswunsch" im Jahr 2000 wurden viele seiner Bücher nur von Insidern wahrgenommen. Da war er bereits 75 Jahre alt. Mit dem Band "Das normale Leben" (2005) folgten noch hervorragende Erzählungen und mit "Der Himmel ist kein Ort" (2009) ein genialisch böser Glaubens-Roman. Zum 90. Geburtstag erscheint mit dem Band "Im Dickicht des Lebens" jetzt eine gute Auswahl seiner Kurzgeschichten.

Geboren wurde Wellershoff am 3. November 1925 in Neuss, bevor die Eltern nach Grevenbroich zogen. Keine gute Zeit für einen Jugendlichen. 1943 wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und meldete sich zur Panzerdivision Hermann Göring . Der jugendliche Enthusiasmus aber wich an der Front schnell der Realität. Der Kamerad mit Kopfschuss antwortete ihm auf die Frage, was er im Moment des Treffers gedacht habe: "Ich habe gedacht: Ach, so ist das." Diese Worte wurden für Wellershoff zum Resümee seiner Generation.

Nach 1945 holt er das Abitur nach, promoviert über Gottfried Benn , ehe er 1959 Lektor wird. Nebenbei arbeitet er an eigenen Texten. Die Avantgarde war seine Sache nie. Er mag keinen "Sprachschmuck", keine "Stilgrimassen", sondern propagiert einen Neuen Realismus. "Das Schreiben ist der Versuch herauszufinden, was man über das Leben weiß. Das ist immer auch eine Selbstbefragung."

Dieter Wellershoff : Im Dickicht des Lebens. Ausgewählte Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 19,99 €

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