Der Papst und die Bremser

Man kann das päpstliche Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ durchaus als Dokument der Aussöhnung lesen. In seiner ersten ausführlichen Veröffentlichung formuliert Franziskus Rezepte, wie sich die katholische Kirche mit „Freude an der Evangelisierung“ wieder ins Spiel bringen kann bei den Gläubigen.

Wie sie nach Jahren der Entfremdung wieder Glaubwürdigkeit erlangen kann.

Man kommt aber nicht umhin, in dem Schreiben auch neue Konfliktherde auszumachen. Denn erstmals formuliert der Pontifex darin ausführliche Thesen, mit denen er die Kirche in ihrer aktuellen Form als Hort der Starre kennzeichnet. Will das Kirchenoberhaupt "vom anderen Ende der Welt", wie er sich selbst nach seiner Wahl bezeichnete, tatsächlich mehr als neuen Wind in das verkrustete System bringen, dann sind heftige Grabenkämpfe im Vatikan zu erwarten. Sein Ruf nach einer "heilsamen Dezentralisierung", nach "authentischer Lehr-Autorität" der nationalen Bischofskonferenzen nimmt die Konfrontation mit dem bisherigen Selbstverständnis des römischen Klerus bereits vorweg. Das Dokument ist eine indirekte Kampfansage an die Glaubenshüter im Vatikan. Nicht zufällig erkennt Erzbischof Lorenzo Baldisseri, der Sekretär der Bischofssynode, in dem päpstlichen Mahnschreiben eine "Bekehrung um 360 Grad".

Franziskus weckt darin allerdings Hoffnungen bei den kirchlichen Reformkräften, die er möglicherweise nicht erfüllen kann. So hatte in Deutschland der Fall der Freiburger Seelsorge-Handreichung Aufsehen erregt, weil sie wiederverheirateten Geschiedenen auf lokaler Ebene unter bestimmten Voraussetzungen wieder Zugang zur Kommunion gewährt. Ist das ein Beispiel für Dezen tralisierung, wie sie dem Papst vorschwebt? Die Maßnahme steht im Gegensatz zur bisherigen Doktrin und wurde deshalb von der Glaubenskongregation rasch wieder kassiert. Franziskus kann einen offenen Kurs in konkreten Glaubensfragen aber nur dann glaubwürdig vertreten, wenn er den Konflikt mit den eigenen Funktionären in Fragen wie dieser nicht scheut.

Zwei Szenarien deuten sich an: Entweder verpuffen die Reformvorschläge des Papstes als hübsche Ideen. Die Enttäuschung vieler Katholiken auch in Deutschland wäre programmiert, ihr Eindruck eines weiterhin unbelehrbaren Vatikan würde bestärkt. Im anderen Fall müsste sich Franziskus mit den Reform-Bremsern in Rom ernsthaft anlegen - ein energieraubendes Duell mit einer inneren Opposition wäre die Folge.

Ob sich die Kräfteverhältnisse in Rom unter Franziskus tatsächlich ändern werden, muss sich noch zeigen. Auf der einen Seite steht ein 77 Jahre alter Pontifex. Auf der anderen aber sind die Ideologen einer in 2000 Jahren gewachsenen Doktrin versammelt.

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