Der „Oberschurke“ hat mehr Freunde, als man denkt

Brüssel · Es scheint der Tag zu sein, an dem Viktor Orban sich endgültig ins europäische Aus stellt. Durch ein Spalier von Polizisten werden Flüchtlinge in Züge Richtung Österreich gepfercht. "Die Menschen in Eisenbahnwaggons zu stecken, weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents", hatte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann vor einigen Tagen gesagt und sich aus Budapest anhören müssen, diese Wortwahl sei ein "unverantwortlicher Amoklauf".

Doch der 52-jährige Orban kann längst nicht mehr verhindern, dass er zum Enfant terrible Europas geworden ist - oder gemacht wurde?

In einem Interview wurde der Vater von fünf Kindern gefragt, wie er sich als "Oberschurke Europas" fühle. Seine Antwort: "Ich kann nur sagen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Wir Ungarn sind Europäer, wir haben mit Europa einen Vertrag abgeschlossen, wir garantieren, dass die Europäer sich frei bewegen können und ihre Grenzen geschützt werden." Darum will Ungarn nun auch an der Grenze zu Rumänien einen Grenzzaun errichten, was dort heftige Empörung auslöste. Tatsächlich aber gilt Orban keinesfalls bei allen (Brüsseler) Politikern als in Ungnade gefallener Machtmensch, als der er gerne hingestellt wird. CSU-Chef Horst Seehofer befand die Vorgehensweise Orbans, der einst als linker Politiker begonnen hatte, jedenfalls als so bedeutsam, dass er ihn zu einem Treffen der bayerischen Unionsspitze einlud. Angelika Niebler, Chefin der CSU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, und Monika Hohlmeier , ebenfalls CSU-Europa-Abgeordnete, würdigten die Tatsache, dass Ungarn wenigstens versucht, die Flüchtlinge zu erfassen und zu registrieren. Die meisten von ihnen kommen nach wie vor aus Griechenland, also einem sicheren EU-Land. Aber dort würden die EU-Gesetze nicht mal angewendet.

Wenige Tage zuvor hatte sogar der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU ), nach einem Besuch in Ungarn Orban einen Freibrief erteilt: "Dass Grenzen beschützt und bewacht werden, gehört zu den Positionen der EVP." Über das umstrittene Flüchtlingslager Bicske, in dem Asylbewerber mehrfach in Hungerstreik getreten waren, um gegen entwürdigende Behandlungen zu demonstrieren, meinte Weber nach einer Besichtigung: "Mein Eindruck ist, dass die Einrichtungen in Ungarn die europäischen Mindeststandards einhalten." Auch der Grenzzaun findet bei vielen Konservativen und Christdemokraten in Brüssel Zustimmung: "Ungarns Grenzschutz-Maßnahmen werden kritisiert.

Dass rund um die spanischen EU-Enklaven Melilla und Ceuta auf nordafrikanischem Boden ebenfalls Zäune stehen, regt niemand auf", sagt ein Führungsmitglied des EU-Parlamentes. Andere verweisen darauf, dass auch Griechenland und Mazedonien einen Zaun zur Türkei hin errichtet haben: "Warum stürzen sich alle auf Orban?"

Dagegen kassierte der Ungar einen scharfen Widerspruch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) , als er die ungelöste Flüchtlingsfrage ein "deutsches Problem" nannte. Orban steht in der EU jedenfalls nicht allein: Gleich mehrfach lehnte es die EVP, in der auch CDU und CSU vertreten sind, ab, die ungarische Fidesz-Partei wegen Verstößen gegen das EU-Recht auszuschließen.

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