Der Meister der Versöhnlichkeit

Sulzbach. "Ich war noch keine zehn Jahre alt, da wusste ich schon, dass ich Schriftsteller sein würde", hat er vor fünf Jahren gesagt - ein paar Tage vor seinem 80. Geburtstag. Also ist er das nun seit mindestens 75 gefühlten Jahren, denn heute feiert Ludwig Harig, der wohl bedeutendste saarländische Schriftsteller, seinen 85. Geburtstag

 Ludwig Harig vor ein paar Jahren am Bahnhof seines Heimatortes Sulzbach, wohin er - insoweit ganz Saarländer - nach seinen Reisen, derer er viele unternahm, stets gerne zurückgekommen ist. Foto: Bodtländer

Ludwig Harig vor ein paar Jahren am Bahnhof seines Heimatortes Sulzbach, wohin er - insoweit ganz Saarländer - nach seinen Reisen, derer er viele unternahm, stets gerne zurückgekommen ist. Foto: Bodtländer

Sulzbach. "Ich war noch keine zehn Jahre alt, da wusste ich schon, dass ich Schriftsteller sein würde", hat er vor fünf Jahren gesagt - ein paar Tage vor seinem 80. Geburtstag. Also ist er das nun seit mindestens 75 gefühlten Jahren, denn heute feiert Ludwig Harig, der wohl bedeutendste saarländische Schriftsteller, seinen 85. Geburtstag. Während er in früheren Jahren, wenn er denn nicht gerade wieder ein neues Buch herausbrachte, zumindest beständig in Zeitungen und Magazinen als Rezensent und Essayist in Erscheinung trat, so ist es zuletzt merklich stiller um ihn geworden. Das Alter fordert seinen Tribut, leider.Nicht nur im Saarland ist Harig, dessen Anfänge als sprachspielerischer Autor in den 50ern liegen, als er in Max Benses legendäre Stuttgarter Schule ging, seit vielen, vielen Jahren eine literarische Instanz. Warum? Eine vor über 30 Jahren von ihm in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gehaltene Rede gibt vielleicht die erschöpfendste Antwort darauf. Damals umschrieb er in Darmstadt in Form eines verkappten Steckbriefs in eigener Sache jenes Zusammenspiel zweier Tätigkeiten, ja Wesenszüge, die bis heute konstitutiv für ihn und sein Werk geblieben sind: "nämlich im Aufbewahren des Vergehenden das Herkommen zu pflegen und zugleich im Annehmen des Zukommenden den Fortgang zu betreiben." Weil sich beides selten ohne innere Widersprüche vollzieht und die des Lebens von jeher das entscheidende Movens des Autors Harig waren, lässt sich abschätzen, weshalb der Sulzbacher Luftkutscher mit den Jahren weit über seine Heimat hinaus seine Leser fand: Als "Liebhaber der Abschweifungen", wie er sich in der ihm eigenen Koketterie Mal um Mal beschrieb, hat er daraus auf höchst vergnügliche, gezielt vom Hundertsten ins Tausendsten gehende Weise eine literarische Harmonielehre der versöhnten Widersprüche entwickelt. Eine, die uns voll der Nachsicht den Spiegel vorhält. Denn nicht nur den Saarländer an sich kennzeichnet in Harigs volksbuchhafter Typologie die Bereitschaft, Gegensätzliches im Dienst der Geselligkeit links liegen zu lassen, was er 1977 im Buch "Die saarländische Freude" auf eine seinen Landsleuten mächtig schmeichelnde Weise geradezu zum Weltmodell erhoben hat.

Nein, es kennzeichnet auch Harig selbst, der zeitlebens aus tiefster Überzeugung (und Lebenslust) Saarländer geblieben ist - wenngleich alles andere als ein unkritischer. Ja, das Versöhnen von Widersprüchen sei der Grundantrieb seiner Arbeit, meinte er vor zehn Jahren, als wir uns im Vorfeld seines 75.sten unterhielten. "Ja. Wenn man alle Schlüsse meiner Bücher liest, wo ja oft von einer schöneren Zukunft die Rede ist, obschon selbst da die Wölfe nicht bei den Lämmern liegen werden, dann wird man merken, dass diese schönere Zukunft das Akzeptieren der Widersprüche ist - der Weltanschauungen und der Religionen."

Als er sich 1974 als Lehrer beurlauben ließ, um ganz von der Schriftstellerei zu leben, war das ein Wagnis, das jedoch bald belohnt wurde. Damals war der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch eine Goldgrube, an der Harig mit zahllosen Hörspielen zu partizipieren wusste. Sein erfolgreichstes - seine die Verlogenheit der Politik demaskierende Hör-Collage "Staatsbegräbnis" anlässlich von Adenauers Beerdigung - hatte ihm schon 1969 Tür und Tor bei vielen ARD-Sendern geöffnet. Dass er mit seiner großen Familien-Romantrilogie, deren erster und bester Band "Ordnung ist das ganze Leben" 1986 erschien ("Weh dem, der aus der Reihe tanzt" und "Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf", folgten 1990 und 1996), seinen endgültigen literarischen Durchbruch hatte, muss man eigentlich nicht mehr erwähnen.

Längst ist sein Werk kanonisiert, seit zehn Jahren erscheint im Münchner Hanser Verlag eine mittlerweile auf zehn Bände gereifte Harig-Werkausgabe, als deren Band sieben Ende des Monats unter dem Titel "Meine Siebensachen. Ein Leben mit den Wörtern" eine Auswahl aus Harigs nicht-romanhafter Produktion der vergangenen zehn Jahre erscheint - darunter eine erkleckliche Anzahl bislang unveröffentlichter Texte. Produktiver (wobei die Literarisierung seines Lebens bisweilen etwas Maßloses hat), origineller und vielseitiger als Harig ist kein anderer saarländischer Autor. Nach Sulzbach, wo er mit seiner Frau Brigitte weiterhin lebt, dürften heute viele Lorbeerkränze unterwegs sein.

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