Der Mann hat Zeit: Hagen Rether gastierte in Neunkirchen

Neunkirchen · Hagen Rether hat Zeit. Dreieinhalb Stunden spricht er zum Publikum in der Neuen Gebläsehalle in Neunkirchen.

Was bedrohlich klingt, entpuppt sich als Kabarett der hervorragenden Sorte. Weil der Mann am Klavier mit dem routinierten Charme eines Barpianisten weiß, dass es kein richtiges Leben im falschen, auch kein richtiges Kabarett im falschen Leben gibt. Oder mit Rether: "Wir wissen alles, tun aber nichts." Kabarett entlarvt nichts mehr, verdeckt dies aber durch hektisches Schwadronieren - und ist damit der Politik, die es so gerne geißelt, gar nicht so unähnlich.

Davon setzt sich Hagen Rether mit seinem "Liebe" betitelten Programm buchstäblich ab. Auch er spricht über Massentierhaltung, Yoga, Merkel und Steinbrück, Sommerreifen, NSU und NSA, handelt alles ab, was in Politik und Gesellschaft bewegt. Doch geschieht dies in seinem Rhythmus, der nicht dem benutzerfreundlichen Takt einer 90-Minuten-Show entspricht und in seiner Tonart, die weder zynisch noch weinerlich die Ohnmacht des Kabaretts beklagt. "Mir geht es ums Grundsätzliche, wer Tagesaktualität will, soll sich eine Zeitung kaufen." So muss er sich zwangsläufig Zeit nehmen, um das Kabarett so hingebungsvoll zu pflegen wie den Konzertflügel.

Ein wenig Klavierspielen, das Instrument wienern, Wischtücher zusammenlegen, Bananen essen, Wasser trinken: Das ist alles dramaturgisch fein aufeinander abgestimmt in seiner Feier der Langeweile. Für Rether, wie er bemerkt, eine positive, weil das Denken fördernde Eigenschaft. Ihm gelingt es, dass der Zuschauer diese Langeweile empfindet, ohne auch nur eine Sekunde von ihm und seinem Vortrag gelangweilt zu sein - ein wahres Bravourstück.

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