Der Jazz schräg, die Luft dünn

Nicaragua und mehr. Konzerte bei minus neun Grad Außentemperatur vor 35 Unentwegten und bei angenehmen 22 Grad vor 6000 Zuhörern - ein solches Wechselbad, sowohl der Zuschauerresonanz als auch der Temperaturen, erlebte der saarländische Musiker Christof Thewes dieses Jahr innerhalb von sechs Wochen

Nicaragua und mehr. Konzerte bei minus neun Grad Außentemperatur vor 35 Unentwegten und bei angenehmen 22 Grad vor 6000 Zuhörern - ein solches Wechselbad, sowohl der Zuschauerresonanz als auch der Temperaturen, erlebte der saarländische Musiker Christof Thewes dieses Jahr innerhalb von sechs Wochen. Weil das Goethe-Institut die renommierte Jazz-Formation Underkarl für mehrere Festivals in Mittelamerika vermittelt hatte, konnte der Posaunist zum ersten Mal nach Nicaragua, Honduras, Costa Rica und Mexiko reisen. Das Vor-Konzert im damals noch eiskalten Saargemünd diente sozusagen zum Warmspielen, war doch Bassklarinettist Rudi Mahall für die Tour verhindert und Thewes dadurch erst ins Boot geholt worden - als zweiter Bläser neben Saxofonist/Klarinettist Lömsch Lehmann.Wer damals in der Brasserie Le Terminus die Diskrepanz zwischen der hochklassigen Darbietung Underkarls und der geringen Anzahl an Zuhörern im deutsch-französischen Grenzgebiet beobachtete, konnte zu dem Schluss kommen, dass die nicht leicht zugänglichen Kompositionen von Bandleader Sebastian Gramss zwangsläufig zu einem sehr exquisiten Publikum führen müssen. Wie sollte das erst in Ländern funktionieren, deren musikalische Kultur noch sehr traditionell ist? Dort, wo dem Klischee nach eher Maschinengewehre in Gitarrenkoffern transportiert werden als Saiteninstrumente? Wie würden wohl arglose Aztekennachkömmlinge auf die Beschallung mit frei improvisiertem Schräg-Jazz reagieren?

Laut Thewes ging das über Erwarten gut. Selbst im vom Saarländer als unangenehm restriktiv empfundenen Honduras traf die Band auf eine kleine, aber sehr aufgeschlossene Jazz-Szene, die vom Quintett aus Alemania hellauf begeistert war. "Es war sehr schön zu erkennen, dass Jazz doch eine globale Bewegung ist, die selbst in solchen Ländern existiert, die geprägt sind von unglaublich viel Armut und Kriminalität", erzählt der Posaunist, dem vor allem die mit Maschinenpistolen ausgestatteten Wachen vor jedem öffentlichen Gebäude missfielen. "Das sind keine liberalen Länder", stellt Thewes fest, den es "ein bisschen stolz" machte, dass er dort als Jazzmusiker automatisch Teil einer Gegenbewegung aus "Intellektuellen, ökologisch Interessierten, Friedensaktivisten und emanzipierten Frauen" war: "Eine Musikschule hat deswegen dort eine ganz andere Bedeutung als hierzulande."

Ansonsten begeisterte sich der 48-Jährige für die mexikanische Mariachi-Kultur, bestehend aus jenen umherziehenden Musikern, die auf Geheiß für zahlungskräftige Restaurant-Gäste aufspielen. "In einem Lokal spielten drei Mariachi-Bands gleichzeitig", so Thewes, der sich gerne mal zwischen zwei solcher Formationen positionierte, die gerade dabei waren, in verschiedenen Tonarten und Tempi zu musizieren. Dieses Konzept der "Makrophonie" wurde beim Abschlusskonzert in Mexiko-Stadt aufgegriffen, als neben Underkarl und einer mexikanischen Jazzband auch eine Mariachi-Gruppe aufspielte - nebeneinander her, ineinander übergehend, gegeneinander und miteinander. Weiterer Meilenstein der Underkarl-Bandgeschichte dürfte dann jenes Konzert in einem Park vor 6000 Zuhörern gewesen sein; in den Grünanlagen des nationalen Kunstzentrums Cenart spielen zwar an jedem Wochenende europäische Jazzbands vor großem Publikum.

Eine Urlaubsreise, wie manche sich das vorstellen mögen, sei das nicht gewesen, sagt Thewes. Wegen der Zeitumstellung habe er kaum schlafen können, dazu kamen elf Flüge innerhalb von 18 Tagen, acht Konzerte, schlechte hygienische Bedingungen und die "kaputte Luft" in Mexiko-Stadt, dem Ballungsgebiet mit 20 Millionen Einwohnern auf 2300 Metern Höhe. Dass Underkarl trotzdem zu Hochleistungs-Jazz fähig waren, wovon man sich bei einigen Internet-Videos überzeugen kann, nötigt Respekt ab.

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