Der eigene Schatten

Saarbrücken · Am 1. Februar verabschiedet sich Marguerite Donlon – bis Sommer 2012 Ballettdirektorin des Staatstheaters – mit ihrer Choreografie „Shadow“ vom Saarbrücker Publikum. Sie hat das Stück als Gastchoreografin erarbeitet, nach dem Unfalltod ihres Mannes, des Komponisten Claas Willeke. Derzeit gibt Donlon keine direkten Interviews. Sie hat die Fragen von SZ-Redakteurin Cathrin Elss-Seringhaus schriftlich beantwortet.

 Marguerite Donlon bei einer Probe zu „Anastasia / Shadow“. Foto: Iris Maurer

Marguerite Donlon bei einer Probe zu „Anastasia / Shadow“. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer
 Yamila Khodr, Anna Trenchs und Meritxell Molinero in „Casa Azul“, einem von Donlons größten Publikumserfolgen. Foto: Bettina Stöss

Yamila Khodr, Anna Trenchs und Meritxell Molinero in „Casa Azul“, einem von Donlons größten Publikumserfolgen. Foto: Bettina Stöss

Foto: Bettina Stöss

Mit "Shadow" verabschieden Sie sich von Saarbrücken. Wie ist Ihnen zumute?

Donlon: Wir beenden unsere Arbeit am Saarländischen Staatstheater auf einem innovativen künstlerischen Niveau, zusammen mit herausragenden Tänzern und einem Team, das immer zu einhundert Prozent hinter uns stand. Ich bin dankbar dafür, dass auch dieser letzte Tanzabend die musikalische Handschrift von Claas trägt.

Ist die intensive Wiederbegegnung mit seiner Komposition von 2006 nicht schwierig? Er schrieb sie zu Ihrer Choreografie "Schatten", die jetzt das Kernstück ihrer neuen Arbeit ist. Wie erleben Sie das?

Donlon: Die Welt des Theaters ist eine andere Welt. In ihr ist es möglich, Leidenserfahrungen umzuwandeln in etwas von bleibendem, künstlerischem Wert.

In "Shadow" geht es um seelische Krisen von Künstlern, die sie durch Kreativität meistern. Kennen Sie diese Erfahrung?

Donlon: Jeder Künstler kennt diese Erfahrung. Eine schöpferische Tätigkeit ist immer auch mit dem Aspekt des Hinterfragens und Zweifelns verbunden. Es sind gerade diese Begegnungen mit den eigenen Schatten und ihre Verarbeitung, die Kunstwerken ihre Dimensionen verleihen - ganz gleich, ob es sich um Gemälde, Kompositionen, Romane oder eben Theaterstücke, Opern und Choreografien handelt.

Als Sie "Shadow" ins Programm nahmen, war nicht klar, dass es Ihr letztes Projekt für Saarbrücken wird. Würden Sie aus heutiger Sicht etwas Anderes wählen?

Donlon: "Shadow" wurde geplant als Bestandteil eines Gesamtabends in Beziehung zu Kenneth MacMillans "Anastasia". Ich halte die Gegenüberstellung vom Schicksal der historischen Anna Anderson mit der Thematik von "Shadow" für einen spannenden Dialog zweier Choreografien, die bei aller ästhetischen Unterschiedlichkeit doch ein gemeinsames Thema haben: die Frage nach der eigenen Identität.

Was verbindet Sie mit den Künstlern, die Sie porträtieren? Nennen Sie jeweils nur zwei Begriffe. Kurt Cobain?

Donlon: Musik als zentraler Bestandteil des eigenen Lebens.

Virginia Woolf?

Donlon: Engagement für die Gleichstellung von Frauen.

Sarah Kane?

Donlon: Klarheit und Entschiedenheit in den eigenen Einstellungen.

Man hört, Sie wollen Ihren Wohnsitz verlegen. Wann ziehen Sie um und wohin?

Donlon: Diese Frage werde ich zur gegebenen Zeit gerne beantworten.

Können Sie sich vorstellen, als Gastchoreografin wiederzukehren ans SST?

Donlon: Das ist eine Fragestellung, die im Moment nicht aktuell ist.

Wie ist Ihr aktuelles Verhältnis zu Ihrem Nachfolger Stijn Celis, den Sie als Gast ans Haus gebracht haben?

Donlon: Ich kenne Stijn Celis seit vielen Jahren und respektiere ihn sehr. Mit der Entscheidung des Theaters war ich sehr zufrieden; Stijn wäre auch meine erste Wahl gewesen. Ich wünsche ihm und seinen Nachfolgern das Beste, sodass die wunderbare Kunst des Tanzes am Theater eine Zukunft hat. Welch ein Titel. Leicht lässt er sich biografisch missdeuten. Doch Idee und Konzept zum "Anastasia/Shadow"-Abend stünden, das sagt Dramaturgin Anja von Witlzer, schon lange. Länger als dass sich der Schatten des Unfalltodes von Claas Willeke im Oktober 2013 über das Leben seiner Frau Marguerite Donlons gelegt hat. Über ihr Befinden gibt die scheidende Saarbrücker Ballettchefin keine Auskunft. Das Fehlen von Larmoyanz ist es denn auch, so von Witzler, was Donlon an den drei Künstlerpersönlichkeiten schätze, denen sich ihre Arbeit "Shadow" zuwendet. Nirvana-Sänger Kurt Cobain (1967-1994), die Autorin Virginia Woolf (1882-1941) und die Autorin Sarah Kane (1971-1999) hätten sich an der Welt wund gerieben, daraus aber keinen Egotrip entwickelt, sondern Kunst.

Das eigentliche Kernstück von Donlons neuer Choreografie ist sowieso bereits 2006 entstanden: "Schatten" hieß es und wurde während "NOW Dance Saar" uraufgeführt. Es tauchte ab in die Innenwelt der Dramatikerin Sarah Kane und war nur 17 Minuten lang. Für die am 1. Februar anstehende Premiere hat Donlon das Stück um ein Vor- und Nachspiel erweitert: Kane zur Seite treten Cobain und Woolf. Alle drei durchlitten Pychosen und gingen in den Freitod: "In ihrem Fall kann man das so bezeichnen. Sie erlebten diesen Weg als Befreiung", sagt von Witzler. Doch während die drei Künstler durch ihr kreatives Tun zu ihrer Identität vorstoßen, bleibt diese Erlösung der "falschen" Zarentochter Anna Anderson (1896-1984) versperrt. Ihr ist der erste Teil des Abends "Anastasia" gewidmet.

Anderson verbiss sich ihr Leben lang in die fixe Idee, die letzte Überlebende des Romanow-Geschlechtes zu sein - und fand nie zu sich selbst. Kenneth MacMillan, der als Innovator der britischen Tanzkunst gilt und 1966 Ballettchef der Deutschen Oper Berlin wurde, schuf mit "Anastasia" eines der ersten Tanz-Psycho-Porträts. "MacMillan war ein Türöffner", sagt von Witzler. "Er entwickelte erstmals einen assoziativen Stil, fragmentierte das Geschehen und integrierte Videos. Er wandte sich Personen der Zeitgeschichte und dunklen Themen zu." Donlon selbst tanzte in Berlin in "Anastasia", wenn auch nicht die Hauptrolle. So spannt sich also der Bogen. Das Stück ist bei der Saarbrücker Premiere erstmals seit 1967 wieder in Deutschland zu sehen. Der "Tanzfonds Erbe" der Kulturstiftung des Bundes, der unter anderem Neueinstudierungen von Schlüsselwerken des 20. Jahrhunderts unterstützt, fördert den SST-Ballettabend.

Premiere: Samstag, 19.30 Uhr, Staatstheater. Karten:

Tel. (06 81) 309 24 86.

www.theater-saarbruecken.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort