Der deutsche Islam

Meinung · Am Sonntag hat Bundespräsident Wulff in seiner ersten großen Rede an die Nation den Bürgern ex cathedra mitgeteilt, dass mittlerweile "auch der Islam" zu Deutschland gehöre, genau wie Christentum und Judentum. Diese Kernaussage ist insgesamt auf ein positives Echo gestoßen

Am Sonntag hat Bundespräsident Wulff in seiner ersten großen Rede an die Nation den Bürgern ex cathedra mitgeteilt, dass mittlerweile "auch der Islam" zu Deutschland gehöre, genau wie Christentum und Judentum. Diese Kernaussage ist insgesamt auf ein positives Echo gestoßen. Gleichwohl sah sich Bundeskanzlerin Merkel gestern zu der bemerkenswerten Klarstellung veranlasst, dass dies aber ein Islam sein müsse, "der sich unseren Grundwerten verpflichtet fühlt".Nicht wenige Zeitgenossen werden die Auffassung vertreten, dass diese Hoffnung trügerisch und ein "westlicher", also aufgeklärter Islam ein Oxymoron ist, ein Widerspruch in sich selbst. Genährt wird dieses (Vor-)Urteil durch das Bild, das der Islam in Europa vermittelt. Es ist geprägt von Kopftuch und Burka, Scharia, Zwangsheirat und Ehrenmord sowie von den als rückständig empfundenen islamischen Ländern im Nahen Osten. Und sicherlich auch von islamistischen Fanatikern, die sich auf den Koran berufen. Ob Wulffs mutige Einordnung auch ein integrativer Ansatz ist, muss sich noch zeigen. Tatsächlich hat sich in Deutschland der Eindruck verfestigt, als wollten die (meisten) Muslime gar nicht Teil der westlichen, oftmals als dekadent betrachteten Kultur werden. Umgekehrt ist nur in geringen Maße die Bereitschaft der Deutschen zu erkennen, den Islam als gleichberechtigte Glaubensrichtung in das eigene Weltbild zu integrieren. Zu stark ist die soziologisch begründbare Angst, dabei die eigene "kulturelle Identität" zu verlieren. Man muss nicht Thilo Sarrazin, den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders oder den US-Autor Christopher Caldwell zitieren, die mehr oder weniger schrill vor der "Islamisierung Europas" warnen. Ernster zu nehmen sind kritische Geister wie der deutsch-ägyptische Gelehrte Hamad Abdel-Samad, der den Untergang des Islam "als Kultur" prophezeit. Abdel-Samad, Mitglied der Islam-Konferenz, kritisiert das unzeitgemäße Gesellschaftsbild des Islam ebenso wie das "absolutistische Gottesbild, das zur Schablone für Diktaturen geworden ist". Wie immer man Wulffs Satz bewerten mag: Er hat mit seiner präsidialen Geste an die Muslime in Deutschland eine Debatte angestoßen, die notwendig ist. Der Islam in seiner gegenwärtigen Verfassung gehört für viele Bundesbürger sicher nicht zu dem Deutschland, das sie als ihre vertraute Heimat betrachten. Ein Islam aber, der keine archaischen Verhaltensmuster ableitet, sondern sich dem Geist der Aufklärung und der Toleranz öffnet, kann durchaus als kulturelle Bereicherung und Teil einer abendländisch geprägten Republik verstanden werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Angesichts der Proteste gegen das Bahn-Projekt Stuttgart 21 schreibt die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" den Grünen ins Stammbuch: Mit Blick auf die Wahlen in Baden-Württemberg blühen schon Phantasien von einer grün-roten Landesregierung. Was aber, wenn
Angesichts der Proteste gegen das Bahn-Projekt Stuttgart 21 schreibt die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" den Grünen ins Stammbuch: Mit Blick auf die Wahlen in Baden-Württemberg blühen schon Phantasien von einer grün-roten Landesregierung. Was aber, wenn