Fall Yücel Keine Normalität zwischen Berlin und Ankara

Berlin/Istanbul · Als Deniz Yücel aus dem Gefängnis in Silivri bei Istanbul entlassen wird, muss alles ganz schnell gehen. Der Konvoi mit dem damaligen deutschen Generalkonsul Georg Birgelen bringt den „Welt“-Korrespondenten und dessen Frau Dilek an diesem 16. Februar 2018 nur noch einmal kurz in deren Wohnung im Istanbuler Zentrum.

 Der Fall Deniz Yücel belastete die deutsch-türkischen Beziehungen massiv.  Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Der Fall Deniz Yücel belastete die deutsch-türkischen Beziehungen massiv. Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Dort nimmt der damals 44-Jährige eine Videobotschaft für seine Unterstützer auf, packt die Katze ein, dann geht es zum Flughafen, wo ein Charter-Jet nach Berlin wartet. Nach knapp drei Stunden Flug ist er in Sicherheit.

An diesem Samstag jährt sich die Freilassung des einst prominentesten deutschen Häftlings zum ersten Mal. Monatelang war Yücel eine Symbolfigur für den desaströsen Zustand der deutsch-türkischen Beziehungen. Die Justiz warf dem Reporter Unterstützung von Terroristen vor, Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte ihn „Agentterrorist“. In Deutschland wurden Yücel und andere aus politischen Gründen inhaftierte Deutsche dagegen von vielen als „Geiseln“ der Türkei gesehen. So sagte es auch der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel.

Nach der Freilassung Yücels hofften beide Seiten auf die Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen. „Die Schwierigkeiten liegen nun hinter uns“, sagte der damalige türkische Ministerpräsident Binali Yildirim in einer ersten Reaktion. Die Bilanz fällt heute gespalten aus: Die Beziehungen haben sich zwar deutlich entspannt, von Normalität kann aber noch keine Rede sein.

„Wir haben immer noch keine positive Grundstimmung erreicht“, sagt etwa der Abgeordnete von Erdogans Regierungspartei AKP, Mustafa Yeneroglu. „Der Vertrauensverlust der letzten Jahre war so gewaltig, dass das Zeit braucht. Aber wir sind auf einem guten Weg.“ Ähnlich sieht man das auf deutscher Seite. Positiv zu verbuchen ist vor allem, dass es keine Schimpftiraden mehr gibt. Man spricht wieder miteinander statt übereinander.

Ein Motor für eine Annäherung beider Länder könnte die Wirtschaft sein. Nachholbedarf wird auf beiden Seiten gesehen – außerdem steckt die türkische Wirtschaft in der Krise und wünscht sich deutsche Investitionen. Die Türkei-Reise von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Oktober wurde von türkischen Regierungsvertretern zwar als der wichtigste Besuch seit Jahren beschrieben. Zählbare Fortschritte gibt es aber noch nicht. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags sind die deutschen Exporte in die Türkei im vergangenen Jahr um zehn Prozent zurückgegangen. Das Vertrauen deutscher Unternehmen in den Wirtschaftsstandort Türkei sei weiter beschädigt, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.

Die größte Belastung für das Verhältnis sind nach wie vor die Deutschen in türkischen Gefängnissen. Von Maas bis Merkel betonen Politiker weiter, dass es keine Normalisierung geben kann, solange diese Fälle in der Welt sind. Sowohl deutsche als auch türkische Beobachter sehen aber das Bemühen, sie aus der Welt zu schaffen. Seit der Ausreise von Yücel kamen nach und nach weitere Häftlinge frei, unter ihnen die Journalistin Mesale Tolu, erst Anfang Januar der Hamburger Dennis E.. Am Donnerstag wurde ein weiterer Angeklagter aus der U-Haft entlassen: Adil Demirci (33), ein Sozialarbeiter aus Köln, dem die Staatsanwaltschaft die Mitgliedschaft in einer linksextremen Gruppe vorwirft. Sein Prozess geht weiter.

Damit schrumpfte die Zahl der öffentlich bekannten Fälle auf drei zusammen. Zum Vergleich: Anfang 2018 waren es noch sieben deutsche Staatsbürger, deren Freilassung die Bundesregierung forderte, weil sie aus Berliner Sicht aus „politischen Gründen“ inhaftiert waren.

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