Dem Aberwitz eine Gasse

Saarbrücken · Nach seinem konventionellen „Peer Gynt“-Einstand schob der neue Saarbrücker Ballettchef Stijn Celis am Samstag den munteren und originellen Tanzabend „Inger Celis Ekman“ nach. Die Uraufführung seines „Neuen Stückes“ umrahmten zwei international gefragte Gast-Choreografien. Das Publikum riss es von den Stühlen.

 Spritzig und frech: Das preisgekrönte Stück „Cacti” des jungen Erfolgs-Choreografen Alexander Ekman, zu sehen im Saarländischen Staatstheater. Fotos: Bettina Stöß

Spritzig und frech: Das preisgekrönte Stück „Cacti” des jungen Erfolgs-Choreografen Alexander Ekman, zu sehen im Saarländischen Staatstheater. Fotos: Bettina Stöß

 Stacy Aung in Johan Ingers „Walking Mad“.

Stacy Aung in Johan Ingers „Walking Mad“.

 Traum-Paar: Liliana Barros und Ramon John in „Neues Stück“.

Traum-Paar: Liliana Barros und Ramon John in „Neues Stück“.

Nach dem aufgekratzten Rauswerfer-Stück "Cacti" klatschte sich das Saarbrücker Publikum in Festivallaune. Doch der rauschende Schlussapplaus nach diesem kraftvollen, kontraststarken Dreiteiler-Abend im Staatstheater galt nicht nur der bravourösen Leistung des Ensembles und des Staatsorchesters unter Christopher Ward. Der Applaus, so wollte man meinen, transportierte auch eine Botschaft Richtung Stijn Celis, den Neuen an der Spitze des Saarbrücker Balletts: Wir mögen es jung und mutig und anspruchsvoll, so die Zuschauer. Dem Aberwitz eine Gasse!

Für Letzteres steht in ganz besonderem Maße das selbstironisch unterfütterte Stück "Cacti" (2010) des schwedischen Gastes Alexander Ekman. Er veräppelt darin den zeitgenössischen Tanzbetrieb, enttarnt die Tiefsinn-Bohrungen von Choreografen wie auch der Kritiker als Attitüde. Dadurch wird das Publikum von jedweder Interpretationsstrapaze befreit. Denn bei Ekman ist alles Neo-Dada. Nichts ergibt einen Sinn, alles macht höllisch Spaß. Ekman scheucht 16 geschlechtslose Protagonisten in asiatisch anmutenden Kostümen auf weiß-schwarze Podeste. Gekippt ermöglichen sie ein unberechenbares Dominospiel. Immerzu ist das gesamte Ensemble wie in einem Bienenkorb aktiv, absolviert Yoga- oder Kung-Fu-Übungen, sportliche Schnell-Läufe oder führt Slapstick-Nummern auf. Mal blitzen Parodien von verzückt fuchtelnden Dirigenten auf, mal meint man ungelenke Laufsteg-Models zu erkennen. Der vergnügliche Höhepunkt in "Cacti" ist ein fideler Pas de deux von Besim Hoti und Stacey Aung, das nur durch "spoken words" untermalt wird, von einem stummen Zwiegespräch des Tanzpaares. Dies alles passiert zu prunkvollen Haydn-, Schubert- und Beethoven-Klängen, die unter anderem ein Streichquartett auf der Bühne beisteuert. Und was bedeuten die Plastik-Kakteen, die die Tänzer pathetisch vor sich her tragen wie antike Vasen? Egal. Hauptsache, Ekman unterläuft Konvention und Konfektion.

Nicht ganz so schräg, aber ebenfalls surreal geht es zu im Eröffnungsstück "Walking mad" (2001) des Schweden Johan Inger. In unverbrauchten Bildern umkreist er zu Maurice Ravels Gassenhauer "Boléro" und zu Arvo Pärts "Für Alina" das Thema Mann-Frau, führt vom Idyll ins Beziehungsdrama. Wobei ein beweglicher, breiter Bretterzaun eine maßgebliche Rolle spielt. Er markiert die Grenze zwischen Gemeinschaft und Isolation. Doch die droht hier auch zu zweit. Denn wann immer Tänzer sehnsuchtsvoll über die Wand hinüber lugen, halten ihre Partner sie wie Gefangene zurück. Körper knallen und klatschen auf Holz: Schmerzen bringt sowohl die Trennung wie das Verharren. Jedenfalls folgt in dieser Boléro-Interpretation die Liebe mal nicht den gängigen lasziv-erotischen Strukturen, sondern ist ein hartes, brutales, ein einsames Geschäft. Daran ändern auch kurze Partyzeiten nichts, bei der die Männer Narrenkäppis tragen und sich dementsprechend benehmen. Beim Anblick der Mädels befällt sie Schüttellähmung. Es wird gejagt, gebalzt, aber mit überraschenden Bewegungs-Mustern.

Fehlt noch der Beitrag des Saarbrücker Ballettchefs Stijn Celis' "Neues Stück" bildet eine Art puristische Ruhezone und besticht durch eine fast mathematische Strenge. Welch ein Gegenpol ist das zu Celis' erster Saarbrücker Arbeit, dem gefühlsdurchglühten "Peer Gynt". Wiedererkennbar ist freilich die Grundhaltung: Celis verweigert Effekte, er will Klarheit und Sparsamkeit und zwingt zur Konzentration auf den Tanz - hier auf perfekte Körper, plastische Silhouetten und klassische Linien. Vor einem schwarzen Hintergrund, der Holzstämme oder einen Faltenwurf andeutet, paradieren die Tänzer in extrem glänzenden, delikat farbigen Ganzkörperanzügen, die jeden Muskel sichtbar machen. Vorgeführt wird technische Perfektion, gepaart mit gymnastischer Unbeteiligtheit. Wobei man wieder ein Tanz-Traumpaar erleben darf: Ramon John und Liliana Barros.

Celis choreografiert gegenläufig zur selten gehörten, alles andere als eingängigen Filmmusik von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970). Statt der vertrackten Rhythmik und der Zitatenfülle von "Metamorphose" (1954) zu folgen, statt die Stilbrüche zwischen Habanera und Hitchcock nachzuvollziehen, setzt Celis auf serielle Wiederholung und hält weite, dynamische Spannungsbögen. So komponiert er ein fließendes abstraktes Tanz-Muster von hohem Reiz. Kalter Glanz? Man sieht ihn mit Respekt.

Termine im März: 7./13./18.3. Karten: Tel. (06 81) 30 92 486.

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