Das Zentrum für Verfolgte Künste und der Kampf gegen das Vergessen

Solingen · Am 10. Mai 1933 ließen die Nazis Zehntausende unliebsame Bücher öffentlich verbrennen. Eine Ausstellung in dem deutschlandweit einzigartigen Zentrum für Verfolgte Künste in Solingen erinnert an diesen Tag – und an viele zu Unrecht vergessene Autoren.

Das Romanische Café im Berlin der Weimarer Republik war einer der legendären Treffpunkte der Intellektuellen und Künstler. Hier entstanden Freundschaften und Netzwerke, wie man heute sagen würde. Mit der Machtübernahme der Nazis und der Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 zerbrachen diese jäh. Im Kunstmuseum Solingen wird mit einer Erinnerung an das Café die Ausstellung "Himmel und Hölle zwischen 1918-1989 - Die verbrannten Dichter" eingeleitet, die vor sechs Jahren eröffnete. Sie ist Standbein des deutschlandweit einzigartigen Zentrums für Verfolgte Künste.

Grundstock der Präsentation ist die berühmte Sammlung des Publizisten Jürgen Serke. Seine Bücher "Die verbrannten Dichter" (1977), "Die verbannten Dichter" (1982) und "Böhmische Dörfer" (1987) waren viel zitierte Erfolge. Serkes Bestände, Bücher, Manuskripte, Briefe und Fotos, stehen dem Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung.

Fokus auf "entartete" Kunst

Zweites Standbein ist die ebenfalls an das Haus gebundene Sammlung von Gerhard Schneider. Rund 500 Gemälde und Grafiken verfolgter und zu Unrecht vergessener Künstler des 20. Jahrhunderts, deren meist gegenständlich-expressive Werke auf historische Ereignisse reagierten oder vom Leben und Arbeiten in der Unterdrückung sowie vom Widerstand handeln. Im Mittelpunkt stehen Exponate von Künstlern, die als "entartet" eingestuft worden waren - aber auch Beispiele diskreditierter Kunst aus der DDR.

Einige Gemälde ergänzen die Schau: etwa eine "Beweinung" des unbekannten Malers Karl Ortelt von 1962, die einen der ersten Mauertoten zeigt. Das Bild erblickte erst 1990 das Licht der Öffentlichkeit. In der Vitrine davor wird an Jürgen Fuchs erinnert, der in der DDR wegen seiner kritischen Arbeit zwangsexmatrikuliert, inhaftiert und abgeschoben wurde. Sein Werk steht am Ende einer für das Ausstellungskonzept beispielhaften Erzählung, die sich nicht am literaturhistorischen Kanon orientiert.

Fuchs und die Bürgerrechtler der DDR beriefen sich auf Wolfgang Borcherts Widerstandsmanifest "Sag Nein". Borchert selber war zwar kein "verbrannter Dichter", aber einer, der sich gegen den Nationalsozialismus aufgelehnt hatte. Vor allem Ernst Tollers Antikriegs-Drama "Der deutsche Hinkemann" beeinflusste Borchert. Ein Briefwechsel belegt diese wichtige biografische Episode. Toller, der wie Hitler auf den Schlachtfeldern von Verdun gekämpft hatte, danach Protagonist der Münchner Räterepublik war, in Festungshaft kam und 1933 emigrieren musste, wird in Solingen als Ahn der engagierten, gegen den Krieg gerichteten Dichter eingeführt. Sein Credo: "Es gibt kein dümmeres Ideal als das Ideal des Helden."

Vom Kampf gegen die Diktatur, von Emigration und Tod erzählt die Ausstellung, aber auch von enttäuschter Liebe und Anpassung. Die 1925 geborene Inge Müller kämpfte gegen Faschismus und DDR-Totalitarismus. Ihre Liebe zu Heiner Müller zerbrach auch daran, dass er sich nicht entschieden genug gegen das System stellte. Inge Müller beging 1966 Suizid. Auch die vor den Nazis geflohenen Anna Seghers und Arnold Zweig standen der sozialistischen Diktatur der DDR wenig kritisch gegenüber.

Neben bekannten Namen wie Else Lasker-Schüler oder Mascha Kaleko erinnert die Schau auch an vergessene Dichter wie Peter Kien, der in Auschwitz umkam, dessen Nachlass gerettet werden konnte, oder an die in einem Arbeitslager gestorbene Selma Meerbaum-Eisinger. Auch Hugo Sonnenschein, einst ein erfolgreicher Lyriker, wird dem Vergessen entrissen. Auschwitz hatte der Trotzkist überlebt, nicht aber das Gefängnis, in das ihn seine ehemaligen Genossen 1945 steckten. Acht Jahre später starb er.

kunstmuseum-solingen.de

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