Das Prinzip Gegenwärtigkeit

Saarbrücken. "Ich bin nicht gegen das Bearbeiten von Texten", erklärt Regisseur Erich Sidler, "aber ich sehe nicht, wo ich Tschechow besser machen kann

 Erich Sidler, derzeit Schauspieldirektor in Bern. Foto: Anette Boutellier

Erich Sidler, derzeit Schauspieldirektor in Bern. Foto: Anette Boutellier

Saarbrücken. "Ich bin nicht gegen das Bearbeiten von Texten", erklärt Regisseur Erich Sidler, "aber ich sehe nicht, wo ich Tschechow besser machen kann. Eine Bearbeitung hätte ich leisten können, aber mich interessiert die Arbeit mit lebenden Autoren", betont Sidler, der in Saarbrücken Rebekka Kricheldorfs "Villa Dolorosa - Drei missratene Geburtstage" frei nach Tschechows "Drei Schwestern" inszeniert. Frei, weil es um zeitgenössische Dramatik geht, die ihn als Regisseur vor allem reizt. "Tschechow kann man leichter wegschieben, aber was mit uns zu tun hat, ist in der Fassung von Rebekka Kricheldorf nicht einfach wegzuschieben", beschreibt er, wieso seine Wahl auf sie fiel.Es ist die Frage nach der Identität, der Sehnsucht nach einem anderen Leben, das für Tschechows in der Provinz lebende Schwestern den Namen "Moskau" trägt. Was bei Tschechow hieß, am Leben dabei zu sein, lautet bei Kricheldorf "Selbstverwirklichung". So lässt sie die Schwestern Olga, Irina, Mascha und ihren Bruder Andrej "in die Sehnsucht hineingeraten" und mit der Frage "Wie finde ich das Glück? In der Liebe? In der Arbeit? In der Sinnsuche?" hadern. Dafür lässt Kricheldorf die Geschwister dreimal hintereinander Irinas Geburtstag im Elternhaus, der "Villa Dolorosa", feiern und wie bei Tschechow scheitern. Das legt der Untertitel "drei missratene Geburtstage" nahe.

Kricheldorf arbeitet Themen heraus, die jeden Erwachsenen im Lauf seines Lebens beschäftigen. War das alles? Soll man aus Bequemlichkeit alles aushalten oder ausbrechen? Für Erich Sidler muss sich das unmittelbar im Text darstellen. Das leistet für ihn Rebekka Kricheldorfs Stück unbedingt: "Dem Alltag die Sprache abzuhören" und das fassen, "was Menschen umtreibt".

Erich Sidler, der im Sommer als Schauspieldirektor in Bern aufhört, hat bereits drei Stücke der 37-jährigen Kricheldorf, derzeit Hausautorin am Theaterhaus Jena, realisiert. "Villa Dolorosa", 2009 in Jena uraufgeführt, ist die Nummer Vier: "Es ist wichtig, dass gute Stücke nicht nur ihre Uraufführung erleben." Ob mehr als 100 Jahre alt wie die "Drei Schwestern" oder noch jung wie "Villa Dolorosa": Beide leben nur, wenn sie den Zeitnerv anbohren. "Es ist in erster Linie eine Übertragung des Lebensgefühls in die Gegenwart", fasst Sidler zusammen, was Kricheldorf mit Tschechow "Schwestern" tat. sg

Premiere am Samstag um 19.30 Uhr in der Alten Feuerwache. Es gibt noch Karten.

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